Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Abschied der Prinzen von Cassel 1754 13 
Wiedervermaͤhlung gegeben, und um das zu vermeiden, wurde auf den 
Wunsch des Landgrafen und des Koͤnigs Georg nur die Trennung von 
Tisch und Bett am 14. Februar 1755 in aller Form Rechtens ausge⸗ 
sprochen. Die Wege beider Gatten gingen von nun an voͤllig ausein⸗ 
ander. Prinz Friedrich verließ Cassel, und Marie blieb bei dem 
alten Landgrafen, um dem Kinderlosen nunmehr als Tochter getreulich 
zur Seite zu stehen. 
Die Abreise der Kinder nach Goͤttingen erfolgte schon am 20. Dez. 1754. 
Es war ein traͤnenreicher Abschied, erst von dem alten Großvater, der 
ihnen die besten Lehren mit auf den Weg gab, dann von dem Vater, 
dessen weiche Natur sich in diesem Augenblick ganz dem Gefuͤhl des 
Schmerzes, die Kinder fuͤr immer zu verlieren, hingab. Zuletzt hieß es 
Abschied nehmen von der Mutter. Marie konnte sich gar nicht von 
ihren Lieblingen losreißen, und ihre Traͤnen floßen noch immer, als der 
Reisewagen schon uͤber den Sandershaͤuser Berg rollte. Das ganze Land 
nahm lebhaften Anteil an dem schweren Schicksal, von dem die fuͤrstliche 
Familie und alle Untertanen „aus unzweifelhaftem Zorngericht des All⸗ 
maͤchtigen“ heimgesucht war, wie es in dem dem Landtag mitgeteilten 
Testamente Wilhelms VIII. hieß. Die Staͤnde machten den Prinzen bei 
der Abreise ein Geschenk von 10 000 Talern, dessen Anweisung der Erb⸗ 
marschall Riedesel dem Prinzen Wilhelm persoͤnlich uͤberreichte. Zum 
ersten Male sahen sich die Kleinen in den Mittelpunkt des oͤffentlichen 
Interesses gestellt, und das Gefuͤhl ihrer Wichtigkeit milderte etwas den 
Schmerz um den Abschied von der heißgeliebten Mutter. In der Haupt⸗ 
stadt, wo der „gemeine Poͤbel“ erst vor Kurzem gewahr worden war, 
was eigentlich im fuͤrstlichen Schlosse vorging, war alles auf den Beinen 
und winkte den Scheidenden Abschiedsgruͤße zu. Alles vom Hof, Militaͤr 
und von der Beamtenschaft, was sich frei machen konnte, gab den Wagen 
bis vor die Stadt das Geleit; ein Teil der Buͤrgerschaft und die staͤd⸗ 
tischen Schuͤtzen in blauer Kleidung mit goldverbraͤmten Huͤten ließen es 
sich sogar nicht nehmen, die Prinzen bis uͤber die Grenze nach Muͤnden 
zu geleiten, wo beim General Spoͤrcken die erste Rast stattfand. Am 
Mittag des folgenden Tages kamen die Reisenden in Goͤttingen an.
	        
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