248 Carl v. Rotenburg Traurige Familienverhaͤltnisse
Der aus Frankreich verwiesene verruͤckte Rotenburger Prinz Carli)
drangsalierte ihn im Juni 1804 wochenlang, kam nach Cassel, ließ sich
wieder in Gnaden annehmen und brach dann unvermittelt, nachdem er
zum Generalleutnant ernannt war, in ungezogener Weise alle Beziehungen
wieder ab. All das stoͤrte des Kurfuͤrsten gewohnte Geleise, und nur
die Besuche seiner juͤngsten Tochter Caro line machten ihm rechte Freude,
trotz der schnurrigen Tafeldiskurse seines gothaischen Schwiegersohnes,
fuͤr dessen empfindsame Alluͤren ihm jedes Verstaͤndnis fehlte. Die
Herzogin hatte es verstanden, sich mit den Absonderlichkeiten ihres Ge⸗
mahles abzufinden. Dagegen lebte ihre Schwester Friederike sehr
ungluͤcklich mit dem Herzog von Bernburg. Die Nachrichten aus Ballen⸗
stedt hatten eine verzweifelte Ähnlichkeit mit denen vom kurprinzlichen
Hofe zu Hanau und weckten in Wilhelm lebhaft die Exrinnerung an
seine eigene eheliche Vergangenheit, zumal die Erxoͤrterung der leidigen
Verhaͤltnisse wieder zu Zusammenstoͤßen mit seiner Gemahlin fuͤhrten,
die die Kinder in Schutz nahm. Wie wohl fuͤhlte er sich dagegen in
der Gesellschaft seiner stillen, geduldigen Graͤfin und der hessensteinschen
Kinder! Er war gluͤcklich, als er einmal (1804) die Abwesenheit der
Kurfuͤrstin an seinem Geburtstag zu einem Ausflug nach Wabern be—⸗—
nutzen konnte, wo die Graͤfin den Bauern Bier und Musik spendierte,
und man in ihrer Mitte den Tag sehr lustig feierte. In der Orangerie
dagegen, wo er mit der Kurfuͤrstin zusammen zu speisen pflegte, regierten
die „Grillen und humeurs“ wie ehedem, und die Hitze und einge—
schlossene Luft, die dort herrschten, machten ihm diese pflichtgemaͤßen Be—
suche zur Strafe. Zeitweise vermied er sogar den gewohnten Theater⸗
besuch, um nicht das graͤmliche Gesicht seiner Frau sehen zu muͤssen.
Die weitere Umgebung merkte von dieser Disharmonie so gut wie nichts;
denn Wilhelm haͤtte mit der Zeit sich aͤußerlich sehr zu beherrschen ge⸗
lernt. Nur seine taͤglichen Aufzeichnungen verraten, wie stark das alles
an ihm nagte. „Gott gebe mir gluͤcklichere Familienverhaͤltnisse und
die voͤllige Gesundheit wieder“, schrieb er einmal um diese Zeit.
Mit dem Ende des „schweren Jahres 1804, wo von Nord und
West von Feinden umgeben, so gluͤcklich durchgekommen“, besserte sich
Wilhelms Gesundheitszustand, und sofort erwachte auch seine Tatkraft,
1) Suͤddeutsche Blaͤtter hatten 1800 das Geruͤcht verbreitet, er habe den General
Bonaparte ermordet. Das war natuͤrlich Unsinn, bot aber einen Vorwand, den laͤstigen
Krakehler uͤber die Grenze abzuschieben. Der Kurfuͤrst nahm sich seiner an, weil er bei
der Kinderlosigkeit des Erbprinzen von Rotenburg auf das Aussterben der Seitenlinie speku⸗
lierte, gewaͤhrte deshalb auch eine Zeitlang dem Jakobinerprinzen, der unvermaͤhlt
bleiben wollte, ein Asyl zu Babenhausen. Vergl. auch oben S. 217.