Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

240 Feier der Kurproklamation 1803 
da fing er ploͤtzlich an zu stocken, stammelte ein paarmal: „Der heutige 
zroße Tag, der heutige hohe Tag“ und sank dann auf einmal ohn⸗ 
maͤchtig um und mußte in die Sakristei gebracht werden. Die ein⸗ 
fallende Orgel⸗ und Instrumentalmusik riß die Gemeinde zum verfruͤhten 
Schlußgesang mit sich fort und machte der peinlichen Szene ein Ende. 
Der Kurfuͤrst war tief betroffen, doch verwischte der weitere Verlauf 
des Festtags den Eindruck des boͤsen Omens. Am Abend erstrahlte die 
illuminierte Stadt in einem glaͤnzenden Lichtmeere, von dessen Wundern 
ind Einzelheiten noch viele Jahre im Hessenlande erzaͤhlt wurde. Be—⸗ 
merkenswert ist, daß bei der Abendcour die Damen von den sonst ge— 
zraͤuchlich gewesenen Reifroͤcken und steifen Robes de cour dispensiert 
waren, und daß der spaͤter ausgegebene offizielle Bericht schreiben durfte: 
„so war es ihnen um so leichter, in dem jetzt herrschenden, so vorteil⸗ 
haften Damencostuͤm alle Erwartungen des feinsten Geschmackes zu be⸗ 
sriedigen“. Es war der erste große Sieg der Mode in dem modefeind⸗ 
lichen Cassel, allerdings nur ein Amazonensieg. Am zweiten Festtage 
war großes Ordenskapitel, Bankett der Chevaliers und abends alle—⸗ 
gorisches Schauspiel „Hesus oder der Lohn der Vaterlandsliebe“, dessen 
Stoff der Museumsinspektor Doͤring angeblich der chaͤttischen Vorzeit 
entnommen hatte. Den Schlußeffekt bildete ein Blick in Walhallas 
Wonnen, wo die Bildsaͤulen saͤmtlicher Ahnen des hessischen Hauses 
nach den Wachsfiguren im Museum prangten. Ein großer Maskenball 
in der Orangerie, wo unerwartet zur großen Freude des Kurfuͤrsten 
ein eben angekommener Bruder Carl ihn uͤberraschte, beschloß am dritten 
Tage die Feier, die nach der „Nationalzeitung der Deutschen“ im ganzen 
Hessenlande „mit anstaͤndiger Wuͤrde und teilnehmenden Herzen“ be— 
zangen wurde.
	        
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