224
Das Erbprinzenpaar
schwendung und Unordnung neigten.“ Es war in der Tat kein groͤßerer
Gegensatz denkbar als der zwischen Wilhelm IX. und dem jungen, lebens⸗
lustigen Erbprinzenpaar.
Der Erbprinz, von der Mutter verwoͤhnt, vom Vater umso strenger
gehalten, hatte sich fruͤh der laͤstigen Bevormundung durch diesen zu ent⸗
ziehen gesucht, und da ihm das nicht gelang, von jeher eine gewisse
Opposition gegen ihn eingenommen, die nicht nur in Äußerlichkeiten zu
Tage trat, wie in der von dem Prinzen bevorzugten, vom Vater per—⸗
horreszierten modischen Kleidertracht. Leichtlebig und verschwenderisch,
dabei knapp gehalten und infolgedessen fruͤh in Schulden verstrickt, gab
Prinz Wilhelm dem Vater oft Anlaß zu Unwillen und Unzufriedenheit.
Bei aller Verschiedenheit der Naturen hatte er von ihm ein ungluͤckliches
Erbteil uͤberkommen, das aufbrausende leidenschaftliche Temperament, es
aber nicht zu zuͤgeln gelernt wie Wilhelm IX. Damit kontrastierte „eine
gewisse Bloͤdigkeit und Verlegenheit Sr. Durchlaucht, die umso bemerk⸗
barer sind, da eine zuvorkommende, sich mittheilende Gespraͤchigkeit den
mehrsten Prinzen des koͤniglichen Hauses eigen zu sein scheint“, wie man
schon 1796 aus Berlin gemeldet hatte. Dies zuvorkommende, umgaͤng⸗
liche Wesen der Hohenzollern besaß allerdings die junge Gemahlin
des Erbprinzen im hohen Grade. Als Schuͤlerin des Kantianers
Kiesewetter hatte sie eine vielseitige Bildung genossen, mancherlei gelesen,
bildete sich aber auch etwas darauf ein und ließ ihren Mann, dessen
geistige Interessen nicht sehr tiefgruͤndig waren, ihre Überlegenheit gern
merken. Außerdem aͤrgerte sie ihn durch ihren maßlosen Stolz auf ihre
Herkunft. Es kam schon bald zu Reibereien zwischen den Gaͤtten, und
ihre Ehe gestaltete sich recht ungluͤcklich, zumal seitdem der Prinz anfing,
das boͤse Beispiel seines Vaters und Schwiegervaters nachzuahmen und
Trost fuͤr sein haͤusliches Ungluͤck in anderen Armen zu suchen.
Am Einzugstage des erbprinzlichen Paares trug die am Eingange
der Casseler Altstadt errichtete Ehrenpforte die Inschrift: „Brandenburgs
und Hessens alte Verbruͤderung erneuert durch Friedrich Wilhelm II.
Koͤnig von Preußen, und Wilhelm IX., Landgrafen zu Hessen.“ In der
Tat bedeutete die neue Familienverbindung der schon fruͤher oft durch
Heiraten verbundenen fuͤrstlichen Haͤuser ein neues, festes Band, das bis
kurz vor dem Zusammenbruch von Jena hielt. Waͤhrend Landgraf
Friedrich II. sich noch immer eine gewisse Selbstaͤndigkeit gewahrt hatte,
folgte sein Sohn, nachdem der Friede von Basel die alten starken Be⸗
ziehungen zu England unterbrochen hatte, der preußischen Politik durch
dick und duͤnn und war eigentlich nur noch ein Vasall des Preußen⸗