Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Konversion des Erbprinzen 
bauten Kirche keine Glocke laͤuten und keine Orgel spielen durfte, i) so 
war die Lehre der Papisten fuͤr ihn der Inbegriff der verdammenswerten 
Ketzerei. Mit großem Mißfallen hatte er deshalb schon laͤngst eine ge⸗ 
wisse Neigung seines Sohnes zur „roͤmischen Religion“ beobachtet, aber 
ein wirklicher Abfall eines hessischen Prinzen von der Sache und Lehre, 
fuͤr die seine Vorfahren vor Zeiten Gut und Blut geopfert hatten, war 
fuͤr ihn etwas so Unfaßbares, daß er nicht daran glauben konnte, bis 
er den bestimmten Beweis dafuͤr erhielt, daß der Erbprinz in Aachen 
das hl. Abendmahl aus der Hand eines katholischen Priesters genommen 
habe. Aber sein Entschluß war schnell gefaßt. Vor allem galt es ihm 
nun „die Prinzen, seine Enkel, einem gleichen Unheil zu entreißen und 
seine Untertanen und Lande vor dem ihnen bevorstehenden Nachteil und 
Seelengefahr so viel als moͤglich zu bewahren“, wie er der Herzogin von 
Braunschweig sofort mit seinem Dank fuͤr die von ihr erhaltene Auf— 
klaͤrung schrieb. 
Die Gelehrten haben sich daruͤber den Kopf zerbrochen, was eigent⸗ 
lich der Anlaß zur Konversion des Erbprinzen gewesen sei, das Raͤtsel 
ist aber nicht restlos geloͤst. War es nun der Glanz des katholischen 
Kultus, der den schoͤnheitsdurstigen und kunstliebenden, in der Hde des 
trockenen und puritanischen Kalvinismus aufgewachsenen Prinzen bezauberte, 
war es wirkliche Glaubenserfahrung oder Reue uͤber die Suͤnden seines 
Lebens, uͤber die der katholische Beichtiger ihm besser hinweghalf, war 
es das Beispiel seines muͤtterlichen Großvaters, des Herzogs von Zeitz, 
der allerdings den Weg zum Protestantismus zuruͤckfand, war es der 
lockende Schimmer der polnischen Koͤnigskrone, die ihm angeblich fuͤr 
den Übertritt von gewisser Seite versprochen war, oder waren es nur 
die Augen einer schoͤnen Frau, der Graͤfin Hatzfeld, die ihn zu dem 
folgenschweren Entschlusse brachten — genug, es war nicht zu leugnen, 
und er leugnete es auch nicht, als ihn die Abgesandten seines Vaters 
am fruͤhen Morgen des 1. Oktober 1754 zu Cassel noch im Bette uͤber— 
rumpelten, und gab zu, daß er bereits vor fuͤnf Jahren, im Februar 1749, 
bei einem Besuch in Neuhaus bei Paderborn, in die Haͤnde des Kur⸗ 
fuͤrsten Flemens August von Coͤln, das katholische Glaubensbekennt⸗ 
nis abgelegt habe und gewillt sei, an diesem Bekenntnisse festzuhalten. 
Indessen weigerte er sich nicht, eine ihm vorgelegte Erklaͤrung zu unter⸗ 
1) Turm und Glocken besaß die Kirche uͤberhaupt nicht (und besitzt sie bis auf 
den heutigen Tag noch nicht) wohl aber eine Orgel, deren Gebrauch indessen verboten 
wurde, weil die Gemeinde beim ersten Gottesdienst das Lied O Herre —A 
lich Wort ist lang verdunkelt blieben⸗ angestimmt und dadurch den Zorn des refor⸗ 
mierten Landgrafen erregt haͤtte.
	        
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