Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Rivals Charles Hesse Wittgensteiin 217 
berstand, daß dieser schließlich seinen Weggang im Jahre 1803 direkt 
bedauerte. Zu seinen ersten Geschaͤften gehoͤrte die Vermittelung der 
Querulantenbriefe des verruͤckten Prinzen Carl von Hessen-Rhein— 
fels), der als CKitoyen Charles Hesse im Pariser Jakobinerklub eine 
Beruͤhmtheit geworden und deswegen von Wilhelm ILX. aus der fuͤrstlichen 
Genealogie und der Liste der Ritter des Goldenen Loͤwenordens gestrichen 
war. Jetzt mußte der Landgraf den gefehmten Vetter, der in Revolutions⸗ 
kreisen damals noch eine gewisse Rolle spielte, wieder mit Samthand⸗ 
schuhen anfassen und sich gefallen lassen daß der „General Marat“ 
ihm, dem neuen „Freund und unveraͤndertem Verbuͤndeten der franzoͤsi⸗ 
schen Republik“ politische Ratschlaͤge erteilte, die im wesentlichen ein 
dauerndes Zusammengehn mit Preußen empfahlen und ihm dafuͤr die 
Kurwuͤrde und das Fulder Land, „das nur Moͤnchen gehoͤrt,“ dem 
Koͤnig von Preußen aber die roͤmische Kaiserkrone verhießen. 
Die enge Verbindung mit Preußen veranlaßte nun auch die Be— 
stellung eines staͤndigen diplomatischen Vertreters in Cassel in der Person des 
Grafen Wilhelm von Wittgenstein?), der schon seit 1794 mit Wil⸗ 
helm IX. in geschaͤftlicher Verbindung stand und zeitweise sogar eine 
Art von Bankgeschaͤft in Cassel betrieb. Wittgenstein war ein aalglatter 
Diplomat — Stein nannte ihn „ein Mittelding zwischen Hoͤfling und 
Lakaien“ — und wenn er auch im Laufe der Jahre manchen Zusammenstoß 
mit dem Landgrafen haͤtte, so wurde er diesem doch unentbehrlich, nicht 
nur als gerissener Finanzmann, sondern mehr noch als jahrzehntelanger 
Vertrauter und Vermittler in den Familienangelegenheiten des hessischen 
Hofes, eine Taͤtigkeit, die noch die Regierungszeit Wilhelms uͤberdauerte. 
Die Familienverhaͤltnisse waren von jeher der wundeste Punkt in 
Wilhelms ILX. Leben gewesen. Frau v. Lindenthal war ihm 
natuͤrlich nach Cassel gefolgt, aber nicht fuͤr lange Zeit. Die „schlechte 
Conduite“ der in Hanau arg verwoͤhnten Freundin gab dem Landgrafen 
1) Karl Constantin (1752-1821), Bruder des Landgrafen Constantin von Hessen⸗ 
Rheinfels⸗Rotenburg. Ueber diesen sonderbaren Kauz, der sich vom deutschen Prinzen 
und koͤniglich franzoͤsischen Maréchal de camp zum Jakobiner und Revolutions⸗ 
ournalisten entwickelte, lange im Gefaͤngnis saß, kaum der Guillotine entging und 
schließlich als larmoyanter Bettler und Sonderling vergessen zu Frankfurt starb, wo 
auf seinem Grab ein irrefuͤhrendes Denkmal (fuͤr den Prinzen Carl von Hessen-Philipps- 
thal, vergl. GS. 123) errichtet wurde, vergl. Chuquet, Un Prince jacobin. Paris 1906 
und meinen Aufsatz in den hessischen Blaͤttern Jahrg. 35, Nr. 3250 ff. 
2) * 1770, Sohn des regierenden Fuͤrsten Joh. Ludwig von Sayn-⸗Wittgenstein⸗ 
Hohenstein. War eine Zeitlang franzoͤsischer Oberst im Dienste der Emigranten, ehe 
er nach Cassel kam. 1804 Fuͤrst, 1812 preußischer Geh. Staatsrat, 1814 Polizeiminister, 
1819 Hausminister. Er war ein Gegner Steins, dessen Urteil uͤber ihn daber der 
reinen Obiektivitaͤt entbehrt. F 11. April 1851 zu Berlin.
	        
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