210 Sorge um Rheinfels Bernstorffs Urteil
Im Fruͤhjahr 1794 reiste Wilhelm IX. nach Rheinfels, da „seine
Sorge um diesen Platz von Tag zu Tag groͤßer wurde“, fand aber
„alles in Ordnung“. Vom Weißenstein aus erließ er am 19. April
ein Ausschreiben an die Ritterschaft zur Stellung ihrer Ritter⸗ und
Lehnspferde, inspizierte dann die Waffenfabriken in Schmalkalden und
erhielt von seinem Bruder Carl das Versprechen einer groͤßeren Lieferung
hon Waffen und Gewehren aus Daͤnemark. Nach jahrelanger Trennung
raf er sich mit diesem Lieblingsbruder und seiner ganzen Familie im
Sommer zu Nenndorf, wo auch die kurz vorher stattgefundene Ver—⸗
(obung der aͤltesten Tochter Wilhelms mit dem Erbprinzen von Anhalt⸗
Bernburg nachgefeiert wurde. Die sehr herzliche Familienzusammenkunft
wurde aber bald durch schlimme Nachrichten von der Mosel gestoͤrt, wo
die Franzosen Trier bedrohten und, ehe die bedaͤchtig heranruͤckenden
Preußen es hindern konnten, am 8. August auch wirklich einnahmen.
Der Landgraf verließ sofort Nenndorf, eilte nach Cassel, ließ die Be—
urlaubten einziehen und traf alle Anstalten zur Landesverteidigung.
Auch die Moͤglichkeit etwaiger innerer Unruhen im Lande wurde ins
Auge gefaßt; von einzelnen Ausschreitungen betrunkener Landausschuͤsser
abgesehen, blieb jedoch alles ruhig. Wilhelms groͤßte Sorge war Rhein⸗
fels, wohin er sich am 17. September noch einmal selbst begab, um alle
Verteidigungsmittel zu kontrollieren und dem alten General v. Resius
und seinem Vertreter, dem bewaͤhrten Obersten Lenz (S. 85) die un⸗
bedingte Verteidigung der Festung anzubefehlen. „Haͤtte nur damals
der Feind Rheinfels angegriffen!“ meinte er, ließ sich aber durch die
kommandierenden Offiziere, die froh waren, den kritischen Fuͤrsten wieder
los zu werden, beruhigen und reiste am 20. weiter nach Wilhelmsbad.
Wilhelms eifrige Bemuͤhungen, nicht nur sein Land und Volk als
sttarke Vormauer gegen das revolutionaͤre Frankreich weiter auszubauen,
sondern auch sonst die Kraͤfte Deutschlands zu gemeinsamer Abwehr
zegen den Feind im Westen zu sammeln, blieben nicht unbemerkt. Sie
fanden ebenso die waͤrmste Anerkennung der deutschen Patrioten, wie
der Landgraf andererseits mehr und mehr die Zielscheibe des Hasses
und Spottes der jakobinisch Gesinnten wurde. Graf Bernstorff
schrieb damals an den Prinzen Carl: »j'admire la fermeté et les
ressources de Mgr. le Landgrave, qui est surement le modèle
de tous les princes en Allemagne, qui scait agir et prévoir et
dont tous les mesures paroissent extrèmément bien calculées. «
Hans von Gagern, damals weilburgischer Minister (der einzige
Deutsche, der den Mut hatte, der gefangenen Koͤnigin Marie Antoinette