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Séoͤvery Eine Schreckensnachricht
aus einer vornehmen Schweizer Familie. Wilhelm VIII. hatte diesen
ausgezeichneten Paͤdagogen, der vorher einen isenburgischen Prinzen er⸗
zogen hatte, in Hanau kennen gelernt und fuͤr das Amt eines Gouver⸗
neurs fuͤr seine Enkel gewonnen. Der Landgraf haͤtte keine bessere Wahl
treffen koͤnnen; denn der junge Schweizer war nicht nur ein vortrefflicher
Erzieher, sondern ein Mensch von edlem, geraden Charakter, der den
besten Einfluß auf seine Zoͤglinge ausuͤbte und auch ihre ganze Zu⸗
neigung gewann. Er bemuͤhte sich, alle hochfahrenden Ideen bei den
Knaben zu unterdruͤcken, indem er ihnen vorhielt: „Bildet euch nur
nichts darauf ein, daß ihr Prinzen seid, denkt daran, daß ihr aus dem⸗
selben Stoff bereitet seid wie alle uͤbrigen Menschen und daß nur das
Verdienst den Wert des Menschen bestimmt,“ eine Mahnung, welche
damals großen Eindruck auf die Prinzen machte, wenn sie auch in der
Folgezeit nicht immer, am wenigsten vielleicht von dem aͤltesten befolgt
wurde. Die Erbprinzessin hielt große Stuͤcke von Sévery, und ihre
Beziehungen gestalteten sich im Laufe der Jahre zu einer wahren Freund⸗
schaft, die auch keine Unterbrechung erlitt, als Sévery spaͤter fuͤr einige
Zeit durch den Willen des Landgrafen von seinen Zoͤglingen getrennt wurde.)
Unter der Obhut der Mutter und Erzieher verflossen so die Jahre
im friedlichen Einerlei des Unterrichtes und der kindlichen Spiele und
Vergnuͤgungen. Die erbprinzlichen Kinder merkten wohl, daß die Har⸗
monie zwischen ihren Eltern nicht ungetruͤbt war, aber in ihrem jugend⸗
lichen Alter und bei der seltenen Anwesenheit des Vaters kam ihnen
das doch nicht so zum Bewußtsein, bis auf einmal ein ungeahntes Er—
eignis wie ein Donnerschlag in die landgraͤfliche Familie hereinbrach und
eine voͤllige Umwaͤlzung fuͤr das Leben der drei Prinzen brachte.
Im September 1754 befand sich Wilhelm VIII. auf Schloß Philipps⸗
ruhe bei Hanau, als er durch einen Brief der verwitweten Herzogin von
Braunschweig die Nachricht erhielt, sein Sohn, der Erbprinz Friedrich
sei zur katholischen Kirche uͤbergetreten. Das war fuͤr den alten Herrn,
der mit zaͤher Beharrlichkeit an dem Bekenntnis seiner Vaͤter hing und
sedem Andersglaͤubigen ein strenger, unduldsamer Richter war, ein fuͤrchter⸗
licher Schlag. Betrachtete er schon die Casseler Lutheraner, die zu sei—
nes Vaters Zeiten noch zum Gottesdienst uͤber die hannoͤversche Grenze
wandern mußten, als laͤstige Haͤretiker, in deren zur Schwedenzeit er⸗
1) 1756 zum Legationsrat ernannt, tral Sévery erst 1760 nach Wilhelms VIII.
Tode in seine alte Siellung als Sousgouverneur der Prinzen zuruͤck. 1764 wurde er
Hofmarschall der Erbprinzessin und nahm am 15. Maͤrz 1765 seinen Abschied, um in
die Schweiz zuruͤckzukehren.