Wilhelms Temperament Stoupanus Causid
und erkundigte sich dann regelmaͤßig, ob er auch immer den Zauber—
ring und seine drohende Veraͤnderung beachte. Als Mittel gegen seinen
aufbrausenden Jaͤhzorn riet sie ihm, immer ein Glas Wasser auf dem
Tisch zu haben und sobald der Anfall komme, einen Schluck zu nehmen,
aber alle diese und andere gutgemeinten Ratschlaͤge und Mahnungen ver⸗
mochten doch das heißbluͤtige Temperament des Knaben nicht ganz zu
daͤmmen. Zeit seines Lebens hatte er Muͤhe, diese Anlage zu unter⸗
druͤcken, die sein Sohn und Enkel spaͤter erben sollten. War Bylly auch
kein Muster von Fleiß und Aufmerksamkeit, so durfte die Mutter doch mit
dem Erfolg seines Unterrichtes ganz zufrieden sein: denn schon im 7. Lebens⸗
jahre war er imstande, ganz leidliche franzoͤsische und englische Briefe zu
schreiben, und zeigte bei aller Zerstreutheit und Zerfahrenheit eines un—⸗
ruhigen Temperamentes eine gute Auffassungsgabe und Begabung. Der
Schweizer A. Stoupanus, ) der den Prinzen bis zu seinem 14. Jahre
interrichtete, war ein vielseitig gebildeter junger Mann, Jurist und Histo⸗
riker, der um seiner Zoͤglinge willen sich sogar mit Fortifikationslehre be⸗
faßte. Sein mathematischer Unterricht war so fesselnd, daß selbst die
Erbprinzessin gern daran teilnahm. Den Prinzen Carl unterrichlete
der aus einer Casseler Refugiéfamilie stammende Simon Causid,?) ein
junger Theologe von großem Selbstgefühl, der spaͤter den ersten Kata⸗
log der von Wilhelm VIII. begruͤndeten Casseler Bildergallerie verfaßte.
Die Prinzen Wilhelm und Carl waren unzertrennliche Spielgefaͤhrten,
wohnten zusammen in einem Zimmer und wurden auch zusammen unter⸗
richtet, waͤhrend der juͤngste, Fritz, noch laͤngere Zeit in weiblicher Ob⸗
hut war, bis auch er an dem gemeinsamen Unterricht teilnehmen konnte.
Die Arbeitsstunden waren sehr regelmaͤßig, begannen fruͤhe, waren nur
durch das mit der Mutter zusammen eingenommene Fruͤhstuͤck unterbrochen
und fuͤllten sonst den ganzen Vormittag aus. Jeden Mittag mußten
dann die Kinder dem Großvater ihre Aufwartung machen und respekt⸗
voll stehend an seiner Toilette teilnehmen, wobei er sich nach den Fort⸗
schritten des Unterrichtes erkundigte. Auch der Erbprinz nahm an dieser
Levervisite teil, wenn er in Kassel weilte.
Im Jahre 1750 uͤbernahm Salomon de Charrière de Sévery
die eigentliche Oberleitung der Erziehung, ein Landsmann von Stoupanus
1) Aus Lausanne. Er begleitete die Prinzen spaͤter nach Daͤnemark, starb aber
schon kurz nach der Ankunft Ende November 1756 zu Kopenhagen.
2) * 1729 zu Kassel als Sohn des Kaufmanns Paul Causid aus Bern. Auch er
begleitete die Prinzen nach Daͤnemark. 1761 ging er nach Hessen zuruͤck und starb am
29. August 1793 zu Cassel. Im Hause seiner Toͤchter, die das wunderliche Wesen ihres
Vaters erbten, vor dem Wilhelmshoͤher Tore, lebte spaͤter Ernst Koch und schrieb seinen
Prinz Rosa Stramin.