200 — Wirkung des Custine schen Manifestes
Flucht wird dich derselben nicht entziehn.“ Den hessischen Soldaten aber
bot er im Namen der Nation „ein gluͤckliches Schicksal“ an: „taͤglich
15 Kreuzer, wenn ihr dienen wollt, 45 Gulden Pension, wenn ihr keine
Dienste nehmen wollt“, und zum Schluß als das hoͤchste: „Buͤrgerrecht,
bruͤderliche Liebe und — Freiheit!“
Der General Moustache — so nannten ihn die Soldaten wegen
seines starken Schnauzbartes — war sehr stolz auf diesen foudre d'ana-—
thème, den er mit der schriftstellerischen Hilfe seines elsaͤssischen Leib—
trabanten Stamm gegen den Landgrafen geschleudert hatte, aber die
Wirkung war doch eine andere, als er erwartete. Mochte er sich immer⸗
hin daruͤber lustig machen, daß ein hessischer Edelmann Friedrich Treusch
b. Buttlar ihn deswegen oͤffentlich zum Zweikampf auf Pistolen forderte,!)
was er nicht ungeschickt durch die Antwort parierte, er schlage sich nur
auf Kanonen — fataler war die Antwort des hessischen Volkes. Nicht
die, die „Saͤmmtliche Hessen⸗Casselsche getreue Unterthanen“ aus dem
kager bei Hanau am 28. Oktober in die Welt schickten. Deren gut—
gemeinte, langatmige Tiraden gegen den „Hannibal der Neufranken“
konnten sich mit den Peitschenschlaͤgen der Jakobinersprache Custines
nicht messen. Aber diese Peitschenschlaͤge trafen nicht den, dem sie galten,
sondern die Hessen. Gewiß, es gab manchen Unzufriedenen im Lande,
und das Gezeter uͤber den Soldatenhandel hatte auch schon diesen und
enen stutzig gemacht, der bisher die Subsidienvertraͤge als etwas ganz
Natuͤrliches betrachtet hatte. Aber jetzt, wo es darauf ankam, zeigte es
sich doch, daß Wilhelms landesvaͤterliches Walten nicht umsonst gewesen
war, und daß die alte Hessentreue noch lebte. „Wenn je ein Regent
aus den ungezwungenen, von Herzen kommenden Handlungen seiner
Untertanen, zumal in dringender Gefahr und zur Zeit der Not, ein be—
waͤhrtes Zeugnis der Liebe seines Volkes, das Lob oder den Tadel
seiner Regierungshandlungen entnehmen konnte, so war es jetzt der
Fall.“y) Wie ein Mann stand das Volk zu seinem Landgrafen und
1) Die aus Eisenach datierte Herausforderung gab der weimarischen Regierung
Veranlassung, den „hoͤchst unbesonnenen Schritt des v. Buttlar“ in aller Form oͤffent⸗
lich zu mißbilligen! So aͤngstlich war man damals mitten in Deutschland, noch dazu
in einer Zeit, wo der Herzog von Weimar beim preußischen Heer gegen die Franzosen
in Waffen stand. — Der „Custine-Buttlar“, ein wegen seiner tolldreisten Reiterstuͤcke
und Jagdabenteuer in ganz Hessen und Thuͤringen bekanntes Kraftgenie, machte spaͤter
den Feldzug von 1793 als Volontaͤrleutnant mit, zeichnete sich am 16. April bei Hom⸗
burg i. d. Pf. aus, erhielt den preußischen Orden pour le mérite und starb 1806 zu
Markershausen.
2) So schrieb 1794 der Freiherr vom Stein, der aus Mainz geflohene preußische
Gesandte. Dessen juͤngerer Bruder, der spaͤtere Minister, damalige preußische Ober⸗
berarat. brachte am 29. Oktober 1792 seine vor den Franzosen fliebende Schwester nach