Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Custines Siegeszug Manifest gegen den Landgrafen 199 
Kustine nach kurzer Stockung seines Siegeslaufes bei dem schwachen 
Widerstand der kleinen sich auf ihre Neutralitaͤt berufenden Reichsstaͤnde 
und der revolutionsfreundlichen Stimmung der Bevoͤlkerung leichte 
Triumphe feierte. Kurpfalz und Zweibruͤcken ließen die Franzosen als 
Freunde durchpassieren, und der um seine Grafschaft Hanau⸗Lichtenberg 
(S. 188) besorgte Landgraf Lude wig X. von Darmstadt gab die Weisung, 
die fremden Gaͤste hoͤflich zu behandeln, waͤhrend er sich mit seinen Truppen 
nach Gießen zuruͤckzog. Am 21. Oktober, genau drei Monate nach dem 
Tage, an dem die alliierten Herrscher in siegestrunkener Sicherheit zu 
Mainz getagt hatten, fiel diese starke Festung in schimpflicher Weise in 
die Haͤnde der „Neufranken“, und am naͤchsten Tage zog Custines Unter— 
feldherr General Neuwinger, ein ehemaliger alter, braver Unteroffizier, 
in die alte Kaiserstadt Frankfurt ein. Freiheitsbaͤume mit der Jakobiner⸗ 
muͤtze wurden gepflanzt, wo die Sansculotten erschienen, und das Ca 
ira und die Carmagnole ertoͤnten auf den Gassen deutscher Staͤdte. 
Wenn auch skeptische Frankfurter Juden uͤber das „Baimche ohne Worzel 
mit dr Kapp ohne Kopp“ witzelten, so schien doch der Siegeszug der 
Revolution unaufhaltsam. Adam Philipp Custine von Saareck, der mit 
seinem kuͤhnen Zug dies alles erreicht hatte, stand auf der Hoͤhe seines 
kurzen Ruhmes, und der Nationalkonvent in Paris jubelte dem Edel— 
mann aus altlothringischem Geschlechte zu, vor dem das Roͤmische Reich 
in seinen Grundfesten erzitterte. 
Von Mainz aus bombardierte Custine die „gedruͤckte Menschheit in 
Deutschland“ mit schwuͤlstigen Manifesten im Namen der freien Franken⸗ 
republik, um nicht nur mit dem Schwerte, sondern auch mit den Waffen 
des Wortes seinen Sieg zu erweitern. Angesichts der ihm begegnenden 
revolutionaͤren Sympathieen und des Verrats der Untertanen an ihren 
alten, vielfach freilich mit schwerer Schuld beladenen Landesherren glaubte 
Custine auch mit den Hessen leichtes Spiel zu haben. Er haͤtte sie aber 
von der Zeit her, da er in Amerika noch unter dem Lilienbanner gegen 
sie gefochten hatte, besser kennen muͤssen. Am 28. Oktober erließ er 
bon Frankfurt aus einen Aufruf an die hessen-casselschen Soldaten, um 
sie zum Abfall von dem „Tiger“ und „Tyrannen“ zu bewegen, der „ihr 
Blut verkaufte, um seine Schatzkammern zu fuͤllen.“ „Ungeheuer!“ so 
apostrophierte er darin den Landgrafen, „uͤber das sich schon laͤngst der 
Fluch deutscher Nation, die Traͤnen der Witwen, die du brotlos und 
das Jammergeschrei der Waisen, die du elend gemacht hast, gleich 
schwarzen Gewitterwolken zusammentuͤrmten. Deine gemißbrauchten Sol—⸗ 
daten werden dich der gerechten Rache der Franken uͤberantworten, die
	        
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