Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Custines Einfall Wilhelms Ruͤckkehr nach Hessen 197 
der Franzose sich aber verrechnet. Wilhelm ließ ihm am 4. Oktober 
durch den Kabinetssekretar Steinbach in verbindlichem Tone fuͤr die edle 
und großmuͤtige Behandlung Lindaus danken, ließ aber das Anerbieten 
selbst ganz ohne Antwort, da „Seine Durchlaucht die dermaligen Ver— 
haͤltnisse in Frankreich unter ganz anderm Gesichtspunkt betrachten, denn 
derjenige ist, aus welchem ein irre geleitetes Volk dieselben ansiehet.“ 
Unter schwierigen Verhaͤltnissen und unaufhoͤrlichen, gluͤcklich abge— 
wehrten Angriffen der Franzosen hielten sich die Hessen bei Verdun, als 
am 8. Oktober ploͤtzlich der Leutnant Treusch v. Buttlar vom Regiment 
v. Hanstein aus Rheinfels bei dem Landgrafen eintraf mit der Hiobs⸗ 
post, die Franzosen seien unter Custine!) im Bistum Speyer eingefallen 
und bedrohten Mainz, das vielleicht schon in ihren Haͤnden sei. Das 
war eine schlimme Nachricht, die das Gelingen des Ruͤckzugs der Ver— 
buͤndeten in Frage stellte Der Herzog von Braunschweig haͤtte 
sich gerade an diesem Tage im hessischen Hauptquartier angemeldet; der 
Landgraf wartete nun aber seine Ankunft nicht ab, sondern ritt ihm 
eiligst entgegen. „Ich traf ihn“, erzaͤhlt er, „diesseits Verdun zwischen 
Grandbras und der Festung, schilderte ihm die furchtbare Lage des 
hessischen Korps in der letzten Zeit und machte ihm dann Mitteilung 
von der eben gemeldeten Katastrophe betr. Mainz. Er war sehr erregt 
daruͤber und rief dem Oberst Grawert, damaligen Generalquartiermeister, 
zu: Que faire? Mayence est perdul Dann hielt er ploͤtzlich sein 
pPferd an und sagte zu mir: „Ich beschwoͤre Sie im Namen des Koͤnigs, 
reisen Sie sofort nach Deutschland, suchen Sie den Rhein vor Custine 
zu uͤberschreiten und machen Sie alle Ihre in Hessen befindlichen Truppen 
mobil, um ihre beiden Festungen Rheinfels und Hanau zu sichern.“ 
Ich lehnte es anfangs rundweg ab, mein Truppenkorps in Frankreich 
zu verlassen und verlangte, der Herzog solle mich zu meinem Lager be—⸗ 
gleiten. Aber er wollte nichts weiter hoͤren und sagte, er muͤsse mich 
dann fuͤr alle schlimmen Folgen verantwortlich machen. Da gab ich 
schließlih nach, machte auf der Chaussee kehrt und ritt in der Richtung 
nach Longwy fort, fast ganz allein, nur mit zwei Adjutanten, ohne Eskorte 
und nur mit dem, was ich auf dem Leibe trug. In Grandbras er— 
wartete ich meinen Wagen und kam nachts 11 Uhr in Longwy an.“ 
In fliegender Eile wurde die Reise fortgesetzt, nicht uͤber Trier, sondern 
uͤber Luremburg und Maastricht, wo der hollaͤndische Gouverneur, Prinz 
1) Adam Phil. Graf Custine von Saareck,“* 1740 zu Metz, zeichnete sich im 
Siebenjaͤhrigen und amerikanischen Krieg aus, 1783 Marschall, 1789 Abgeordneter des 
lothringischen Adels. Nach kurzem Siegeslauf als republikanischer Feldherr 28. August 
1793 wegen Hochverrats hingerichtet.
	        
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