Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

186 J Kampf gegen die Mode Kaiserwahl 1790 
Wilhelms Idiosynkrasie gegen alles franzoͤsische, fuͤr ihn also revolutio⸗ 
naͤre Wesen ging so weit, daß er den aussichtslosen Kampf gegen die 
Broßmacht der Mode aufnahm. Um die franzoͤsische Tracht laͤcherlich 
zu machen und „die Hessen hiervon abzuschrecken“, verfiel er spaͤter 
(1799) auf die originelle Idee, die Casseler Zuchthaͤusler „nach den haͤß⸗ 
lichen, neuen franzoͤsischen Moden gekleidet“ mit offenem Haar und 
steifem, runden Hut die Straßen reinigen zu lassen.) Damals setzte 
sich bei ihm die Vorliebe fuͤr den von den Revolutionaͤren abgeschnittenen 
Zopf fest, der fuͤr ihn zum Symbol der alten deutschen konservativen 
Gesinnung wurde. Das alles half jedoch ebenso wenig wie ein Preisaus⸗ 
schreiben von 1794, in dem er den Gelehrten Deutschlands die Aufgabe 
stellte, uͤber die Hauptschlagworte der Revolution zu schreiben, worauf 
uͤberdies erst nach vier Jahren eine einzige Antwort einlief. 
Wenn Hessen waͤhrend der ganzen Revolutionszeit im Gegensatz zu 
manchen Nachbarlaͤndern (auch in Sachsen und Preußen brachen Unruhen 
aus) sich durchans ruhig verhielt, so lag das wohl weniger an all den 
eben erwaͤhnten Vorbeugungsmaßregeln als an dem allkonservativen, 
allen Neuerungen abholden und ruhigen Charakter des Kattenstammes, 
dessen einzelne Glieder in uͤberwiegender Mehrzahl, noch dazu in der 
militaͤrischen Schule an unbedingten Gehorsam gewoͤhnt, die landesvaͤter⸗ 
lichen Bemuͤhungen des um das Wohl seines Volkes unablaͤssig sorgenden 
Landgrafen dankbar anerkannten, und in ihrem Vertrauen zu ihm trotz 
mancher nahen Beruͤhrung mit dem Revolutionsgeiste nicht irre wurden. 
Beim Wehen der ersten Revolutionsstuͤrme war Joseph II ge— 
storben. Die Aufregung üuͤber den Abfall seiner niederlaͤndischen Erblande 
hatte dem todkranken Kaiser den letzten Rest gegeben, und Deutschlands 
Kurfuͤrsten ruͤsteten sich zur Wahl eines neuen Reichsoberhauptes. Die 
unruhige Stimmung an der Westgrenze des Reiches, wo es angesichts 
der franzoͤsischen Ereignisse bereits zu gaͤren begann, ließ es wuͤnschens⸗ 
wert erscheinen, diesmal die alte Wahl⸗ und Kroͤnungsstadt Frankfurt 
mit besonderem Schutz zu umgeben, und Wilhelm L. als Oberst 
des Oberrheinischen Kreises Herr uͤber die bedeutendste militaͤrische 
Macht in der Nachbarschaft, folgte gern einer Einladung des Kur⸗ 
fuͤrsften von Mainz, die militaͤrische Deckung der Wahlhandlung zu 
übernehmen. Die Einladung kam nicht ohne eine Anregung aus Cassel 
selbst, wo man schon lange nach einer Gelegenheit suchte, die Scharte 
von 1787 beim Reichsoberhaupt auszuwetzen und zugleich fuͤr das alte 
1) Schon Joseph II. hatte aͤhnliche Erperimente zur Verspottung von Modeartikeln 
gemacht. Val. Bluͤmml u. Gugitz, Altwienerisches (1920), S. 104
	        
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