Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

2. 
Maßrxegeln gegen revolutionaͤre Propaganda 
Im Sommer 1780 kam zuerst die Nachricht von den Pariser Er⸗ 
eignissen nach Cassel, und die Kunde von der Erstuͤrmung der Bastille 
machte einen tiefen Eindruck auf den Landgrafen, der so etwas nicht 
fuͤr moͤglich gehalten hatte. Im August besuchte er seinen Sohn Wilhelm 
in Marburg, der eben dort seine Studien begonnen hatte, und reiste 
bon da weiter nach Wilhelmsbad, in der Hoffnung, dort naͤheres 
uͤber die Vorgaͤnge in Paris zu erfahren. Mit Schrecken sah er, daß 
man in seiner „guten Stadt Hanau“ sich nicht scheute, die Revolutions⸗ 
nachrichten mit Beifall zu begruͤßen, und glaubte zu bemerken, daß die 
canaille dort nicht uͤbel Lust bezeigte, die, Pariser Moden“ nachzumachen. 
Aber auch aus Hessen selbst kamen beunruhigende Nachrichten. Nach einem 
Diner, das er dem Kurfuͤrsten von Mainz gab, wobei die unglaublichen 
Vorgaͤnge an der Seine den Hauptgegenstand der Unterhaltung bildeten, 
erschien auf einmal der alte Wittorff aus Cassel und erzaͤhlte in seiner 
umstaͤndlichen Weise, daß ein Ziegenhainer Advokat Klinckerfues im 
Lande revolutionaͤre Propaganda betreibe, Buͤrger und Bauern zur Ab⸗ 
schuͤttelung ihrer Lasten aufhetze, und es sogar gewagt habe, den Erb⸗ 
marschall in Kaufungen in seine Bewegung mit hineinzuziehn. Wilhelm 
war schnell entschlossen, schickte trotz Wittorffs Abraten sogleich einen 
Kurier nach Ziegenhain mit der Weisung, den Rebellen tot oder leben⸗ 
dig festzunehmen, und kehrte dann in aller Eile nach Cassel zuruͤck, um 
die gefuͤrchtete Bewegung im Keime zu ersticken. Er wollte kein schwacher 
Ludwig XVI. sein, und in seiner Hauptstadt, wo angeblich schon aufruͤhre⸗ 
rische Maueranschlaͤge gefunden waren, sollte es keinen Bastillesturm geben. 
Mit Verwunderung erlebten die Casselaner, die groͤßtenteils wohl keine 
Ahnung hatten, weshalb das alles geschah, daß der Landgraf nicht wie 
gewoͤhnlich sich in der Bellevue, sondern im alten Schlosse selbst ein— 
quartierte, daß auf dessen Waͤllen und vor dem Zeughause Kanonen 
aufgepflanzt wurden, daß die Garnison scharfe Patronen erhielt und 
Militaͤrpatrouillen die Straßen durchzogen. Es gab große Auflaͤufe und 
Menschenansammlungen in den Straßen, aber um 9 Uhr abends mußte 
auf hoͤchsten Befehl jeder in seinen vier Waͤnden sein, und es ereignete 
sich nichts, was einer Revolution aͤhnlich sah. In allen uͤbrigen Garnison⸗ 
orten geschahen aͤhnliche Vorsichtsmaßregeln, und die militaͤrischen Be— 
fehlshaber erhielten den Befehl, jede Unruhe ruͤcksichtslos zu unterdruͤcken. 
Aber die Bevoͤlkerung blieb ruhig. Nach ein paar Tagen gewoͤhnte man 
sich an das Bild der bewaffneten Stadt und den Belagerungszustand, 
alles ging sonst seinen gewohnten Gang. Von den signalisierten fran⸗ 
zoͤsischen Emissaͤren, die wohl nur in der Einbildung existierten, war auch
	        
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