Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Die franzoͤsische Revolution 
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wurde der Verraͤterei bezichtigt und konnte froh sein, nach seiner Flucht 
aus Belgien im preußischen Heere einen neuen Wirkungskreis zu finden. 
Des Landgrafen Plan war gescheitert, aber mit der ihm eigenen Zaͤhig⸗ 
keit kam er im Laufe der Jahre noch mehrmals auf le grand but de 
revendiquer l'héritage de mes peéères zuruͤck. 
Die belgische Revolution hatte trotz ihres zeitlichen Zusammenfallens 
mit der Umsturzbewegung in Frankreich wenig gemeinsam mit dieser; 
denn die belgischen Patrioten fochten fuͤr die Aufrechterhaltung ihrer 
alten, von Joseph II. bedrohten Privilegien, und ihre Anstifter und 
Fuͤhrer gehoͤrten zu der Klasse des Adels und der Geistlichkeit, die von 
den josefinischen Reformideen nichts wissen wollten. Daher mag es 
etwas weniger verwunderlich erscheinen, den umsturzfeindlichen hessischen 
Landgrafen hier fuͤr einen Augenblick auf der Seite der Revolution zu sehn. 
Wilhelm ILX. war sonst ein typischer Vertreter des alten, in der Revo⸗ 
lution zusammenbrechenden Regimes. Den maßlosen Luxus und die 
leichtlebige Genußsucht, die dieses Regime in Frankreich und anderswo 
charakterisierte, konnte man ihm freilich nicht vorwerfen. Dafuͤr ver⸗ 
koͤrperte sich in ihm vielmehr der aufgeklaͤrte Despotismus der Zeit, der 
die Untertanen wie unmuͤndige Kinder betrachtete, und ihr Wohl nur 
durch strenges, wenn auch gerechtes Regiment foͤrdern zu koͤnnen glaubte. 
Von Hanau her an die durch keine landstaͤndische Einschraͤnkung ge— 
milderte und gehinderte Alleinherschaft gewoͤhnt, hatte Wilhelm in Cassel 
den Landtag Althessens vorgefunden, seine Priviligien und Rechte 
bestaͤtigt, seine Desiderien gewissenhaft gepruͤft und in dem Landtags— 
abschied vom 2. Mai 1786 die Gewaͤhrung einer ganzen Reihe dieser 
Desiderien zugesagt. Aber im Grunde genommen war ihm dieser Land— 
tag, auf dem die Adeligen, denen er nicht hold war, den Ausschlag 
gaben, doch eine recht unbequeme Institution, und er dachte nicht daran, 
ihm ein wirkliches Mitregierungsrecht zu gewaͤhren, das Einzelne unter 
seinen Wortfuͤhrern, wenn auch einstweilen nur schuͤchtern, beanspruchten. 
Die Vorgaͤnge in Frankreich, wo auf einmal die Staͤnde mit nie ge— 
hoͤrten Praͤtensionen auftraten und durch dies Auftreteten das Anbrechen 
einer neuen Zeit ankuͤndeten, mußten ihn aufs tiefste bewegen, aber 
fuͤr die auch in Deutschland sich mehr und mehr ausbreitenden neuen 
Ideen von Freiheit, Gleichheit und Bruͤderlichkeit und von den neuen 
Menschenrechten fehlte ihm, wie den meisten Fuͤrsten seiner Zeit, das 
Verstaͤndnis. Er konnte in diesen Ideen nur den verderblichen Einfluß 
des verhaßten franzoͤsischen Zeitgeistes erblicken.
	        
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