168 Wilhelms Bautaͤtigkeit Die Aue
fuͤr einen Zweig derselben viel zu erwarten; denn man wußte schon,
daß Wilhelms Sparsamkeit beim Bauen aufhoͤrte. In diesem Punkte
war er ganz der Sohn seines Vaters, wirklich großzuͤgig und ohne
kleinliche Bedenken schoͤpferisch taͤtig. Das Geld, das er mit vollen
Haͤnden fuͤr seine Schoͤpfungen ausgab, brachte tausend fleißigen Haͤnden
Arbeit und Lebensunterhalt und entschaͤdigte somit z. T. wenigstens fuͤr
die sonst von dem Landgrafen geuͤbte Sparsamkeit.
Mit einer voͤlligen Umgestaltung der füͤrstlichen Gaͤrten begann die
üra der wilhelminischen Bautaͤtigkeit, die wie alle uͤbrigen Neuerungen
durchaus seiner eigenen Initiative entsprang. In der von dem Land⸗
grafen Carl vor 75 Jahren angeblich nach Le Notres Plaͤnen ange⸗
legten Aue gab es zuerst eine große Revolution. Die Casselaner
wollten ihren Augen nicht trauen, als im Winter 1786/87 auf einmal
die alten Alleen und Hecken unter den Äxten und Beilen der dort auf—
gebotenen Holzarbeiter zusammenbrachen. „Der franzoͤsische und nieder⸗
laͤndische Geschmack, der aus Gaͤrten Laubpallaͤste, aus Hecken Laub⸗
kolonnaden und aus Baͤumen Pyramiden uud andere Schnoͤrkeleien ge—
macht hatte — der eingeschlichene taͤndelnde Geist der Kleinlichkeiten
und Spielwerke, jenes ermuͤdende Einerlei und dieses spitzfuͤndige Vieler⸗
lei, kurz alles ekelhaft Gezierte, das nur kleinen Geistern Vergnuͤgen
machen kann, nahm auf einmal ein Ende. Der falsche Goͤtze Le Notre
wurde entlarvt und vom Throne gestuͤrzt.“) Den Casselanern tat es
wehe, die alten vertrauten Anlagen des Landgrafen Carl in einem Nu
zerstoͤrt zu sehen. Aber aus der Wuͤstenei erwuchs dann durch die neue
zaͤrtnerische Kunst ein Park, in dem die Natur wieder in ihre alten
Rechte trat und, herrlicher als zuvor, das Auge des sich schnell an den
aeuen englischen Geschmack gewoͤhnenden Besuchers entzuͤckte. Doch
wurde das Fehlen der kostbaren Menagerie Friedrichs II., die aus
Sparsamkeitsruͤcksichten aufgeloͤst und an den Herzog von Zweibruͤcken
verkauft war, vielfach schmerzlich empfunden. Nur der Name der
Affenallee und der ausgestopfte Kadaver des beruͤhmten bei einer
Theaterexkursion verungluͤckten Elefanten im Museum erinnerten noch
an das Bestehen der einst von Fremden und Einheimischen viel be—
wunderten Tiersammlung.
Gleichzeitig mit den Arbeiten in der Aue begann die Umgestaltung
des Weißensteiner Schloßparkes, die den Namen Wilhelms fuͤr alle
Zeiten unsterblich gemacht hat.
1P über Wilhelm den Neunten ussp. S. 104 f.