Die Soͤhne des Erbprinzen
fassung des Mannes, der den laxen Sitten seiner Standesgenossen nur
zu viele Konzessionen machte, allmaͤhlich zu einer voͤlligen Entfremdung.
Bei einem Besuche in London wurde der sittenstrengen Englaͤnderin die
laͤngst geahnte Gewißheit, daß Friedrich es mit der ehelichen Treue nicht
ernster nahm, wie ihr eigner Vater. Seitdem wurde das Verhaͤltnis
zwischen den beiden immer gespannter, bis die Hinneigung des Prinzen
zum Katholizismus und sein schließlicher Übertritt zur alten Kirche den
voͤlligen Bruch besiegelte.
In dieser unerfreulichen Atmosphaͤre des Elternhauses, das den Vater
wenig in seinen Raͤumen sah, wuchsen die Kinder auf, die Marie in den
ersten fuͤnf Jahren ihrer Ehe dem Gemahl geschenkt hatte. Mit Jubel
hatte man am zweiten Weihnachtstage 1741 die Geburt des Stamm⸗
halters begruͤßt, der aber nach dem eigentuͤmlichen, auf die alte Ver—
wuͤnschung einer Amme zuruͤckgefuͤhrten Schicksal der meisten erstgeborenen
Prinzen des Landgrafenhauses schon nach wenigen Monaten am 1. Juli
1742 wieder starb. Ein umso hoͤheres Lebensalter war den nachfolgenden
drei Soͤhnen beschieden, von denen der juͤngste, Friedrich E 11. Sept.
1747) das 90. Lebensjahr fast vollendete, der vorjuͤngste, Carl (19.
Dez. 1744) diese hohe Lebensgrenze um nahezu zwei Jahre uͤberschritt,
waͤhrend der aͤlteste Wil helm, mehr denn 77 Jahre alt geworden ist.
Im alten Landgrafenschloße uͤber der Fulda erblickte der spaͤtere erste
hessische Kurfuͤrst am Pfingstmontag, dem 3. Juni 1743, das Licht der
Welt. Vierzehn Tage spaͤter konnte Koͤnig Georg, der gerade auf dem
Siegeszug nach Dettingen begriffen war, in Cassel seine eben vom Wochen⸗
bette aufgestandene Tochter und den neugeborenen Enkel begruͤßen, der
in der heiligen Taufe die Namen beider Großvaͤter Georg und Wil—⸗
helm, als Rufnamen gleich dem verstorbenen Bruder den seit 300 Jahren
borzugsweise im hessischen Fuͤrstenhause beliebten Namen Wilhelm er—
hielt. Auf ihm ruhte von Anfang an die Zukunftshoffnung des alten
Stammes Heinrichs des Kindes, da von den zehn Soͤhnen des Land⸗
grafen Carl sonst keine maͤnnlichen Nachkommen da waren. Außer dem
Koͤnig Friedrich und dem Landgrafen Wilhelm lebten nur noch die beiden
Prinzen Max und Georg, die keine Soͤhne hinterließen. Bis zu seinem
achten Lebensjahr befand sich der kleine Prinz und seine beiden Bruͤder
nur in den Haͤnden von Frauen, unter denen Tinny Kemp, die ver⸗
traute Gesellschafterin der Prinzessin, eine koͤrperlich unansehnliche, aber
geistig sehr regsame Englaͤnderin, den meisten Einfluß besaß und mit
ihrer Erziehungsstrenge ein wirksames Gegengewicht zu der muͤtterlichen
Nachsicht abgab. Da die Prinzessin mit ihrer aus der Heimat mitge⸗
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