Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Entlassung der franzoͤsischen Guͤnstlinge 159 
unter ihm zu kurz gekommen. Der Landgraf hatte nur zu oft vergessen, 
daß nicht die von ihm bevorzugten, vom Militaͤrdienst freien Residenzler, 
sondern daß die hessischen Bauern es waren, die im Schweiße ihres An⸗ 
gesichts die schwerste Last im Staate trugen, daß ihre Soͤhne mit ihrem 
Herzblute die Millionen des reichen Staatsschatzes aufgebracht hatten. 
Dafuͤr hatten die Guͤnstlinge des Landgrafen um so mehr Vorteile aus 
seiner großen Gutmuͤtigkeit und offenen Hand gezogen. Und ihre Zahl 
war nicht gering gewesen. Ihr Kreis sing schon an mit den Soldaten 
der Garderegimenter und endete bei den Persoͤnlichkeiten in der naͤchsten 
Umgebung Friedrichs II. unter denen wiederum Franzosen von teilweise 
recht zweifelhaften Verdiensten besondere Vertrauensstellungen genossen. 
Diese waren die ersten, die das Wehen des neuen Windes empfanden 
und von ihm sehr schnell hinweggeblasen wurden. „Die Stunde, da 
Wilhelm die Regierung antrat, wird den Franzosen in Hessen so un— 
vergeßlich bleiben, als der ganzen Nation der Tag, an welchem Roßbach 
beruͤhmt wurde“, hieß es damals in Schloͤzers Staatsanzeigen. Der 
Marquis de Luchet,!) der Hauptvertreter der franzoͤsischen Kultur am 
Hofe, der die landgraͤfliche Bibliothek zum Gluͤck noch nicht ganz in Un⸗ 
ordnung gebracht hatte, mußte Cassel verlassen, wo er lange der un— 
bestrittene Diktator des literarischen und kuͤnstlerischen Geschmackes gewesen 
war. „Parvenu depuis dix ans à repandre le goũt des belles lettres 
et des connaissances dans un pays plus connu par la beautè des 
troupes que par l'amour des sciences“ — so urteilte er selbst uͤber 
seine Casseler Mission — erhielt er am 10. Februar 1786 seine Ent— 
lassung und fluͤchtete zu dem Prinzen Heinrich von Preußen. Sein Adlatus, 
der Chevalier de Nerciat,“ hatte schon vorher eine Unterkunft bei dem 
Landgrafen von Rotenburg gefunden. Dem Voltaireschuͤler Luchet, der 
in seiner Art noch nicht der uͤbelste gewesen war, folgte eine ganze Schar 
minder bedeutender Landsleute, z. T. einfache Gluͤcksritter, die eine foͤrm⸗ 
liche Verabschiedung oder Entlassung gar nicht abwarteten. Ein Ukas 
des Landgrafen vom 5. November, worin den Offizieren der Garnison 
aller nachlaͤssige Dienst, gepuderte Roͤcke und andere franzoͤsische Moden 
1) Jean Pierre Louis Marquis de Luchet 1740 zu Saintes, ein außerordent⸗ 
sich fruchtbarer Schriftsteller auf allen moͤglichen Gebieten. Der gute Strieder, der ihm 
ie Revolution der Casseler Bibliothek“ nie vergeben konnte, hat ihn entschieden zu 
chwarz gemalt. 1788 kehrte er nach Paris zuruͤck, wo er waͤhrend der Revolution als 
Journalist 1792 starb. 
2) Andréè Robert Andrea de Nerciat * 1739 zu Dijon, ehemaliger franzoͤsischer 
Oberstleutnant, ging spaͤter nach Neapel, wurde als politischer Emissaͤr der Koͤnigin 
Faroline von den Franzosen in Rom gefangen genommen und starb an den Folgen 
feiner langen Haft auf der Engelsburg nach 1800 zu Neavel.
	        
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