Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

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Cassel unter Friedrich II. 
O wein ihn, wein ihn, Du verwaistes Hessen, 
Wein deinem guten, theuren Friederich! 
Nein ewig wirst du seiner nicht vergessen 
Den, dem an Guͤt und Liebe keiner glich, 
einer ehrlichen Trauer weiter Kreise in Hessen Ausdruck gaben, wodurch 
die Stellung seines Nachfolger nicht erleichtert wurde. Besonderen Grund 
zu einer solchen Trauer hatte die Stadt Cassel. Seit den Tagen des 
Landgrafen Carl hatte die Residenz keine so glaͤnzende Periode gehabt 
wie unter Friedrich II. Cassel war unter ihm, der die beengenden Schranken 
der Festungswerke gesprengt, neue Straßen und Plaͤtze angelegt und dem 
groͤßten Talent der Architektenfamilie Du Ry freie Bahn geschaffen hatte, 
eine ganz neue Stadt geworden. Nicht nur aͤußerlich. Auch das Leben 
der Hauptstadt hatte einen anderen Anstrich bekommen. Der von dem 
Landgrafen geliebte und bevorzugte franzoͤsische Geist und Geschmack 
hatte seinen Einzug gehalten, und, teilweise unterstuͤtzt durch das nicht 
unbedeutende Element in den Refugiéfamilien, willkommene Aufnahme 
gefunden. Echte und unechte Franzosen gaben den Ton an und sorgten 
dafuͤr, daß die mit einer nicht zu duͤnnen Schicht franzoͤsischen Kultur⸗ 
firnisses bedeckte Stadt wirklich ein Miniaturparis zu sein schien. Mit 
seinen Fehlern und Schwaͤchen, aber auch mit manchen nicht zu leug⸗ 
nenden Vorzuͤgen. Cassel zaͤhlte damals etwa 20000 Einwohner, besaß 
eine italienische Oper unter franzoͤsischer Leitung mit einer vortrefflichen 
Kapelle, ein franzoͤsisches Komoͤdienhaus, zwei gelehrte Gesellschaften 
und eine Kunstakademie mit franzoͤsischer Geschaͤftssprache, eine Hoch⸗ 
schule, ein großes Museum, eine kostbare Gallerie, eine wertvolle Bib⸗ 
liothek und viele andere Sehenswuͤrdigkeiten, die groͤßtenteils von dem 
berstorbenen Landgrafen geschaffen oder wenigstens ausgebaut waren. 
Handel und Wandel erfreuten sich einer unzweifelhaften Bluͤte. Der 
Fremdenverkehr war besonders zur Messezeit mit ihrem festlichen Ge— 
praͤnge und zahlreichen Vergnuͤgungen ein sehr lebhafter. Der Hof 
kannte keine Sparsamkeit, seine Devise war: leben und leben lassen, und 
die Casselaner gewoͤhnten sich bald an den lebenslustigen Rokokoton und 
waren zufrieden mit seiner Herrschaft. 
Übrigens war Friedrich II. kein maßloser Verschwender gewesen. Er 
benutzte nur die reichen Mittel, die ihm vorzugsweise aus den guͤnstigen 
Subsidienvertraͤgen zuflossen, in freigebigster Weise, ohne sie zu erschoͤpfen. 
So hinterließ er seinem Sohne trotz seiner glaͤnzenden Hofhaltung ein 
schuldenfreies Land mit einem wohlgefuͤllten Schatz von uͤber zwanzig 
Millionen Talern. Aber das eigentliche Land war doch entschieden
	        
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