58
Cassel unter Friedrich II.
O wein ihn, wein ihn, Du verwaistes Hessen,
Wein deinem guten, theuren Friederich!
Nein ewig wirst du seiner nicht vergessen
Den, dem an Guͤt und Liebe keiner glich,
einer ehrlichen Trauer weiter Kreise in Hessen Ausdruck gaben, wodurch
die Stellung seines Nachfolger nicht erleichtert wurde. Besonderen Grund
zu einer solchen Trauer hatte die Stadt Cassel. Seit den Tagen des
Landgrafen Carl hatte die Residenz keine so glaͤnzende Periode gehabt
wie unter Friedrich II. Cassel war unter ihm, der die beengenden Schranken
der Festungswerke gesprengt, neue Straßen und Plaͤtze angelegt und dem
groͤßten Talent der Architektenfamilie Du Ry freie Bahn geschaffen hatte,
eine ganz neue Stadt geworden. Nicht nur aͤußerlich. Auch das Leben
der Hauptstadt hatte einen anderen Anstrich bekommen. Der von dem
Landgrafen geliebte und bevorzugte franzoͤsische Geist und Geschmack
hatte seinen Einzug gehalten, und, teilweise unterstuͤtzt durch das nicht
unbedeutende Element in den Refugiéfamilien, willkommene Aufnahme
gefunden. Echte und unechte Franzosen gaben den Ton an und sorgten
dafuͤr, daß die mit einer nicht zu duͤnnen Schicht franzoͤsischen Kultur⸗
firnisses bedeckte Stadt wirklich ein Miniaturparis zu sein schien. Mit
seinen Fehlern und Schwaͤchen, aber auch mit manchen nicht zu leug⸗
nenden Vorzuͤgen. Cassel zaͤhlte damals etwa 20000 Einwohner, besaß
eine italienische Oper unter franzoͤsischer Leitung mit einer vortrefflichen
Kapelle, ein franzoͤsisches Komoͤdienhaus, zwei gelehrte Gesellschaften
und eine Kunstakademie mit franzoͤsischer Geschaͤftssprache, eine Hoch⸗
schule, ein großes Museum, eine kostbare Gallerie, eine wertvolle Bib⸗
liothek und viele andere Sehenswuͤrdigkeiten, die groͤßtenteils von dem
berstorbenen Landgrafen geschaffen oder wenigstens ausgebaut waren.
Handel und Wandel erfreuten sich einer unzweifelhaften Bluͤte. Der
Fremdenverkehr war besonders zur Messezeit mit ihrem festlichen Ge—
praͤnge und zahlreichen Vergnuͤgungen ein sehr lebhafter. Der Hof
kannte keine Sparsamkeit, seine Devise war: leben und leben lassen, und
die Casselaner gewoͤhnten sich bald an den lebenslustigen Rokokoton und
waren zufrieden mit seiner Herrschaft.
Übrigens war Friedrich II. kein maßloser Verschwender gewesen. Er
benutzte nur die reichen Mittel, die ihm vorzugsweise aus den guͤnstigen
Subsidienvertraͤgen zuflossen, in freigebigster Weise, ohne sie zu erschoͤpfen.
So hinterließ er seinem Sohne trotz seiner glaͤnzenden Hofhaltung ein
schuldenfreies Land mit einem wohlgefuͤllten Schatz von uͤber zwanzig
Millionen Talern. Aber das eigentliche Land war doch entschieden