8. Landgraf Wilhelms IX. erste Regierungsjahre
Reformen und Bauten
Am 4. November 1785 traf Wilhelm IX. auf dem Weißenstein ein
wo er die ersten Tage nach seiner Ankunft zubrachte. Nur ein—
mal erschien er in spaͤter Abendstunde im Casseler Schlosse, um in tiefer
Ergriffenheit am Sarge des Vaters zu beten und seine erkaltete Hand
zu kuͤssen. Zum ersten Male zeigte sich der neue Landgraf als solcher
den Bewohnern Cassels am 14. November, dem Tage an dem Friedrich II.
zu Grabe getragen wurde. Drei Tage lang haͤtte seine sterbliche Huͤlle
im Schlosse auf dem Paradebette zur Schau gestanden, und die Casse⸗
laner waren in Menge herbeigestroͤmt, um den vielgeliebten Herrscher
noch einmal zu sehn. Zu Fuße folgte Wilhelm dem Leichenkondukt,
der, abweichend von der bisherigen Sitte, nicht wie sonst bei Fackelschein
in dunkler Nacht, sondern am hellen Tage mittags um 1 Uhr mit
militaͤrischem Gepraͤnge durch die Straßen Cassels zog, das alte Erb—
begraͤbnis der hessischen Landgrafen in der Großen Kirche nur um—
kreiste und dann der katholischen Kirche zustrebte, wo der Verstorbene
sich selbst die letzte Ruhestaͤtte bestimmt hatte. Es war das erste Mal
in seinem Leben, daß Wilhelm eine katholische Kirche betrat, was er
dem seiner Mutter gegebenen Versprechen getreu bisher stets vermieden
hatte. Kanonendonner der Artillerie und drei Salben der dem Leichen⸗
wagen folgenden Garderegimenter verkuͤndeten die Beisetzung Friedrichs II.
und beendeten das ungewoͤhnliche Trauerschauspiel, das eine neue Ära
in Hessen einleitete.
Die Landgraͤfinwitwe Philippine war bei dem Tode ihres Ge⸗
mahls nicht in Cassel anwesend und erschien auch nicht zu seiner Bei⸗
setzung. Sie weilte zu Besuch bei ihrer wuͤrttembergischen Schwester
zu Moͤmpelgard, und es dauerte noch uͤber 4 Wochen, bis sie den Ruͤck⸗
weg nach Cassel fand. Teils aus Ruͤcksicht auf sie, teils um dem
großen Hofbetriebe fern zu bleiben, der ihn bei seiner rastlosen Arbeit
stoͤrte, bezog Wilhelm ILX. einstweilen die Orangerie in der Aue. Seine
Familie blieb noch bis zum 2. Januar 1786 in Hanau. Caroline
konnte sich nicht zur Übersiedlung nach Cassel entschließen. Sie fuͤrchtete
sich uͤber alle Maßen vor dem Zusammenleben mit der Landgraͤfin⸗
witwe, wie sie in jedem ihrer zahlreichen Briefe aus Hanau versicherte: