Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Landesvaͤterliche Fuͤrsorge Wilhelms Persoͤnlichkeit 153 
zum guten Ton gehoͤrte, von seiten des Fuͤrstenpaares Patenschaft bei 
den fruͤher zu einem Triumph der Kirche ausposaunten Judentaufen zu 
uͤbernehmen. 
Mancherlei geschah zur Hebung der arg darniederliegenden Volks⸗ 
bildung durch Einrichtung von Volksschulen, wofuͤr das Beispiel des 
fuldischen Fuͤrstbischofs v. Bibra als Muster dienen konnte. Auch der 
Armen⸗ und Waisenpflege hatte Wilhelm besondere Aufmerksamkeit zu⸗ 
gewandt und das Bettel⸗ und Vagabundenunwesen mit Erfolg bekaͤmpft. 
Zur Beschraͤnkung der schrecklichen Volkskrankheit der schwarzen Blattern 
war damals die Pockenimpfung aufgekommen, und Wilhelm, der die 
Spuren dieser Krankheit noch immer auf dem Antlitz seiner Gemahlin 
lesen konnte, ging seinen Untertanen mit gutem Beispiel voran, indem 
er 1769 seinen Sohn durch den englischen Arzt Baylies)) impfen 
ließ trotz des Widerspruchs seines Leibarztes Socin, der den Englaͤnder 
als einen vermeintlichen Charlatan heftig angriff. 
Was der Erbprinz zur Verbesserung der Verwaltung und zur Hebung 
des Wohlstandes in Stadt und Land tun konnte, das hatte er nach 
seinen Kraͤften getan, und er durfte mit Befriedigung auf den Erfolg 
seiner Bemuͤhungen blicken, die auch von seinen Untertanen dankbar an⸗ 
erkannt wurden. Er hatte die gluͤckliche Gabe, die meisten Menschen, 
mit denen er zusammen kam, durch seine Liebenswuͤrdigkeit zu gewinnen. 
Seitdem er die steife Zuruͤckhaltung, die ihm in seiner Jugend eigen 
war, uͤberwunden hatte, gab er sich ungezwungen im Verkehr mit jeder⸗ 
mann, und man ruͤhmte es besonders von ihm, daß er sich nicht durch 
Hoͤflingsumgebung von der Außenwelt absperrte. „Ich dachte mir einen 
Fuͤrsten mit einer zahlreichen Leibwacht, etliche Marinellis an der Seite 
und hinter sich einen langen, langen Schweif von Schmeichlern und 
Schranzen. Rien du tout! Einzeln, ohne alle entscheidenden Kenn⸗ 
zeichen seiner Wuͤrde wandelt er uͤberall herum, theilt sich allenthalben 
mit, gibt die weisesten Verordnungen ... und freut sich selbst unter 
seinen Unterthanen wie unter seinen Kindern, und seine Unterthanen 
freuen sich uͤber ihn wie uͤber ihren Vater,“ so schrieb der enthusias— 
mierte „Schweizer“.?) Aber auch ein so scharfer Kritiker wie der „reisende 
1) William Baylies (J 1787 zu Berlin), in England von seinen Kollegen boy⸗ 
kottiert, wurde spaͤter Leibarzt Friedrichs des Großen, dem er auf die Frage: „Hat 
Er schon viele Menschen in die andre Welt befoͤrdert?“ geanwortet haben soll: „Nicht 
so viel als Ew. Majestaͤt“. Fuͤhrte die Pockeninoculation in Berlin ein und veroͤffent⸗ 
lichte Nachrichten daruͤber. (Dresden 1776). 
2) Briefe uͤber das Wilhelmsbad. S. 18.
	        
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