Wilhelm und der Casseler Hof
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Forste am 12. Mai uͤbernahm der Erbprinz zum ersten Male das
Kommando uͤber die Truppen und war gluͤcklich uͤber die Anerkennung,
die der Landgraf ihm zollte. Zum ersten Male fuͤhlte er sich „ganz als
Hesse“, und das Herz bebte ihm vor Freude, als er vor dem Vater den
Degen schwenkte. Schließlich war er aber von den Casseler Aufregungen
und Festen so angegriffen, daß er froh war, als er am 19. Mai wieder
seine Wilhelmsbader Burgresidenz beziehen konnte, wo er „allein das
wahre Gluͤck genoß, das Fuͤrsten so wenig kennen.“
Die Nachricht von der Wiedervereinigung der landgraͤflichen Familie
wurde im ganzen Lande mit großer Befriedigung aufgenommen, in
Kirchen und Freimaurerlogen festlich gefeiert und von den hessischen
Poeten in deutschen, lateinischen und franzoͤsischen Versen besungen.
Die Aussoͤhnung zwischen Vater und Soͤhnen war auch eine vollkommene
und dauernde und wurde durch keinen Mißton weiter getruͤbt. Wil—
helms Sorgen waren unnoͤtig gewesen. Dem Landgrafen war das
herzliche Einvernehmen mit seinem Sohne, das den Abend seines Lebens
freundlich erhellte, mehr wert als seine Anspruͤche auf die Souveraͤni⸗
taͤt von Hanau, und Wilhelm seinerseits huͤtete sich in kluger Zuruͤck⸗
haltung, seine Stellung als Thronfolger zu betonen und dadurch etwa
die Eifersucht des regierenden Herrn herauszufordern. Vorschlaͤge der
hessischen Minister Schlieffen und Buͤrgel, die ihn zum Eintritt
in den Geheimen Rat und die Generaldirektion aufforderten, wies er
darum hoͤflich zuruͤk. Er blieb was er war, Graf und souveraͤner
Regent von Hanau, war aber von nun an ein regelmaͤßiger und gern⸗
gesehener Gast am Hofe seines Vaters. Er sah dort viel, was ihm
wenig gefiel und nach seiner Wesensart nicht gefallen konnte, behielt
aber seine Kritik fuͤr sich und vertraute sie nur seinen Memoiren an, an
denen er um diese Zeit mit besonderer Hingabe und Fleiß arbeitete.
Die Äußerlichkeit des uͤppigen Casseler Hoflebens, die unaufhoͤrlichen
Prunkfeste, die Verschwendungssucht, die Guͤnstlingswirtschaft, das domi⸗
nierende Franzosentum, das waren alles Schattenseiten der glaͤnzenden
Hofhaltung Friedrichs II. die dem offenen Auge des Sohnes nicht
entgingen, zumal dies Auge fuͤr fremde Fehler immer schaͤrfer war als
fuͤr die eigenen. Er wußte, daß vieles anders werden wuͤrde, wenn er
einmal ans Regiment kam, wartete aber seine Zeit ab. So ertrug er
geduldig die ihm ganz besonders laͤstigen gesellschaftlichen Strapazen,
die die Casseler Besuche, namentlich zur Messezeit, mit sich brachten, saß
in der Oper und berechnete im Geiste die Unsummen, die eine einzige Auf—