Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

140 Landgraͤfin Philippine Prinz Friedrich in Cassel 1782 
machten jetzt als „Graf und Graͤfin von Norden“ eine Reise durch Deutsch— 
land, um ihre Verwandten zu besuchen. Wilhelm der laͤngst im 
stillen den Wunsch zu einer Annaͤherung an den Vater hegte, nur dies 
nicht auszusprechen wagte, weil er eine Beschraͤnkung seiner Selbstaͤndig⸗ 
keit befürchtete, ließ die Landgraͤfin durch einen seiner Kammerherren 
begruͤßen und anfragen, ob ihr eine Begegnung mit ihm genehm sei. 
Auf ihre Antwort, daß eine solche wohl nur par hazard gelegentlich 
der Ankunft des großfuͤrstlichen Paares moͤglich sei, wartete er diese ab 
und fuhr dann am 28. Juli nach Frankfurt, wo er seine beiden Bruͤder, 
die ihm zuvorgekommen waren, bereits antraf. Die Landgraͤfin war 
etwas verstimmt, daß der Erbprinz seine Frau nicht mitgebracht hatte, 
und Wilhelm war auch nicht allzu begeistert von dem Wesen seiner 
schoͤnen Stiefmutter, die er hier zum ersten Male kennen lernte; doch 
war der erste Schritt zur Wiederanknuͤpfung mit dem vaͤterlichen Hause 
durch diesen Besuch getan. Die beiden juͤngeren Prinzen folgten im 
Herbst dem großfuͤrstlichen Paare nach Stuttgart. Hier redete ihnen die 
Herzogin Friedrich, die Schwester der Landgraͤfin, sehr zu, doch nach 
Cassel zu gehn und ihrem Vater die Hand zur Versoͤhnung zu bieten. 
Nach der Ruͤckkehr von Stuttgart wurde die Angelegenheit von den 
drei hessischen Bruͤdern mehrfach besprochen, und Prinz Carl setzte sich 
auch mit ihrem alten Erzieher Wittorff in Verbindung, der in Cassel 
ein eifriger Foͤrderer des Versoͤhnungsplanes war. Die beiden aͤltesten 
hatten immer noch mancherlei Bedenken, die die Versoͤhnung wohl noch 
laͤnger hinausgeschoben haͤtten, wenn nicht der juͤngste, Prinz Fried— 
rich, durch einen impulsiven Schritt seine Bruͤder mit fortgerissen haͤtte. 
Ohne jemandem von seinem Vorhaben etwas zu sagen, fuhr er allein 
nach Cassel und kam am 27. Oktober 1782 an einem Sonntag auf 
dem Weißenstein an, wo er den Landgrafen, der gerade mit dem An—⸗ 
kleiden zur Tafel beschaͤftigt war, buchstaͤblich uͤberrumpelte. Er ließ 
sich als ein Offizier von seinem hessischen Regiment melden, und als 
Friedrich II. eintrat, warf er sich ihm zu Fuͤßen in leidenschaft⸗ 
licher Bewegung, nur imstande unartikulierte Laute auszustoßen, aus 
denen der Landgraf allein das Wort „Gnade“ verstehen konnte. Er— 
staunt und erschreckt uͤber die Zudringlichkeit des ihm voͤllig fremden 
Menschen, den er fuͤr wahnsinnig halten mußte, wollte der Landgraf 
ihn aus dem Zimmer fuͤhren lassen. Auch der bei der Szene anwesende 
Geheimsekretaͤr Rat Robert war durch den unbegreiflichen Vorgang 
derart bestuͤrzt, daß er forteilte, um den Minister v. Wittorff herbei— 
zuholen. Dieser rief, als er des Fremden ansichtig geworden war:
	        
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