Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Rosette Ritter Fronde der Hofgesellschaft 1778 127 
kennen gelernt zu haben. Das war die 19jaͤhrige Rosette Ritter 
aus Biel in der Schweiz. Ob sie wirklich eine Tochter des aus Darm⸗ 
stadt stammenden, von Pirmasens nach der Schweiz ausgewanderten 
Apothekers Joh. Georg Ritter, oder wie die Fama meldet, eine Tochter 
Landgraf Ludwigs IX. von Hessen-Darmstadt und einer Tochter des 
Apothekers Boucsein in Pirmasens war, ist nicht mehr sicher festzustellen. 
Jedenfalls war die kleine, kokette „Rittern“ nicht nur eine sehr schoͤne, 
sondern auch kluge und gebildete Person, die, nachdem sie am Weih— 
nachtsabend 1779 im Hause zur weißen Schlange in der Muͤhlengasse 
ihren ersten Sohn geboren haͤtte, es besser verstand, den Prinzen jahre⸗ 
lang an sich zu fesseln, und auch ihre Position besser ausnutzte als 
ihre Vorgaͤngerin. In 10 jaͤhrigem Zusammenleben mit Wilhelm schenkte 
sie ihm fuͤnf Soͤhne und zwei Toͤchter, die den Namen von Haynau 
erhielten und zusammen mit den Heimrods auf dem Gronauer Hofe bei 
Bergen unter der Obhut ihres Erziehers Ungewitter aufwuchsen. 
In einer Zeit allgemeiner Sittenlosigkeit, die nicht nur fast saͤmtliche 
Hoͤfe) kennzeichnete, sondern auch weiteste Kreise, namentlich der sog. 
besseren Gesellschaft durchdrang, hatte das Beispiel des hessischen Erb— 
prinzen nichts besonders Auffallendes und erregte deshalb in seinem 
Lande keinen besonderen Anstoß. Daß aber seine Gemahlin sich dadurch 
sehr verletzt fuͤhlte, ist selbstverstaͤndlich. Waͤhrend Wilhelms Abwesen⸗ 
heit war ihr monatelang der Kummer erspart geblieben, seine Seiten— 
spruͤnge aus naͤchster Naͤhe mitansehen zu muͤssen. Als ihr aber gleich 
nach seiner Ruͤckkehr das neue Verhaͤltnis zu der Rittern offenbar wurde, 
da fuͤhlte sie sich schwer gekraͤnkt, und ihre Umgebung, an die sie sich 
in ihrer Verlassenheit in der letzten Zeit enger angeschlossen hatte, be— 
staͤrkte sie in ihrer gereizten Stimmung gegen den ungetreuen Gemahl. 
Die sittliche Entruͤstung der Hofgesellschaft entbehrte nicht eines fatalen 
Beigeschmacks. Solange der Erbprinz einer Dame aus ihrem eigenen 
Kreise seine Gunst zuwandte, druͤckte man ein Auge zu und fand kaum 
etwas Anstoͤßiges darin. Die Entruͤstung wuchs erst, als er sein Auge 
auf ein Maͤdchen aus dem Volke warf. Es bildete sich direkt eine 
kleine Fronde, deren Leiter der oben erwaͤhnte Knigge und ein Kammer⸗ 
herr v. Loͤw waren, der erst vor 1/2 Jahren aus preußischen Diensten 
nach Hanau gekommen war und eine Kapitaͤnsstelle erhalten hatte. 
Knigge hatte noch immer kein offizielles Hofamt, spielte aber namentlich 
in den Damenkreisen trotz seiner Haͤßlichkeit — Lavater nannte ihn „den 
J 9) Uber die Moral z. B. der preußischen Hofgesellschaft vergl. man die Memoiren 
des Grafen Lehndorff, 30 Jahre am Hofe Friedrichs des Großen.
	        
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