Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

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Kritik des preußischen Militaͤrwesens 
rischen Aktionen, die aber noch lange auf sich warten ließen. In der 
Zwischenzeit bemuͤhte er sich, alle Einzelheiten des preußischen Dienstes 
genau kennen zu lernen, nahm an verschiedenen Manoͤvern teil, besuchte 
im Auftrage des Koͤnigs die Festungen Silberberg, Glatz und Neiße 
und beobachtete mit kritischen Augen seine Umgebung und den gesamten 
aufgebotenen Kriegsapparat. Die uͤbergroße Bewunderung und Be⸗ 
geisterung fuͤr den preußischen Militarismus, die er nach Schlesien mit⸗ 
gebracht hatte, kuͤhlte sich in diesen Tagen bereits erheblich ab, zumal 
ihn die preußische Anmaßung, die keinen andern Militaͤrdienst neben 
dem eigenen gelten lassen wollte, unangenehm beruͤhrte. Er glaubte das 
Geheimnis der preußischen Disziplin nicht in der Erweckung des Ehr— 
gefuͤhls und guten Willens zu entdecken, sondern in der unbarmherzigen 
Strenge und brutalen Behandlung des gemeinen Mannes, die indessen 
doch die massenhafte Desertion nicht verhindern konnte; sah die in die 
ungesunden, feuchten und dunklen Kasematten des Silberbergs verbannten 
Strafbataillone, war Augenzeuge, wie ein armer Teufel, um den Spieß⸗ 
ruten zu entgehen, sich vor seinen Augen in den 100 Fuß tiefen 
Festungsgraben stuͤrzte, glaubte zu bemerken, daß die preußische In⸗ 
fanterie keineswegs besser manoͤpriere „wie die unsrige“ und fand auch 
manches an dem großen Friedrich auszusetzen, der sich nach seiner An⸗ 
sicht zu wenig um Einzelheiten kuͤmmerte, die dem ausgepraͤgten Ga⸗ 
maschensinn des Prinzen und seiner peinlichen Ordnungsliebe sehr wichtig 
schienen. „Von Tag zu Tage lernte ich die Großartigkeit des preußi— 
schen Dienstes geringer einschaͤtzen. Ein Regiment marschierte gut, das 
andere sehr schlecht. Bei einem sah ich, wie die Leute bei der General— 
decharge nicht wußten, ob sie ein Knie zur Erde beugen sollten oder 
nicht. Die einen taten es, die andere Haͤlfte blieb stehen. Das hinderte 
jedoch nicht, daß der Koͤnig sehr zufrieden war; weil es ein Lieblings⸗ 
regiment von ihm war, schadete so etwas nicht.“ Den besten Ein⸗ 
druck machten auf ihn die schwarzen Husaren und die Bosniaken, deren 
exakte leichte Evolutionen er in Neiße bewunderte. Im Offizierskorps, 
das eine bloße Domaͤne des Adels war, sowie in der naͤchsten Um⸗ 
gebung des Koͤnigs beobachtete er ewige Eifersuͤchteleien und starkes 
Intriguenspiel. Ebenso mißfiel ihm der frivole und zugleich devote Ton, 
der das ganze Hoflager kennzeichnete. Besonders scharf kritisierte er die 
Fortifikationsanlagen des Koͤnigs, der einfach selon son bon plaisir 
ihren Platz bestimmte, ohne sich um ihre Ausfuͤhrung und die „erprobten 
Systeme“ zu bekuͤmmern, weshalb er auch im Festungskriege nie be— 
sonderen Erfolg hatte.
	        
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