Knigge in Hanau 1777 Leiter der Hoffeste 119
aber ebenso leichtfertige Edelmann durch seine Schulden und dummen
Streiche sich unmoͤglich gemacht und brachte von dort außer der land—
graͤflichen Ungnade nur seine Frau, eine geborene v. Baumbach mit,
deren Besitz nach einer uͤbereilt geschlossenen Ehe ihn aber vielleicht noch
mehr druͤckte, als seine Schulden. Seitdem war er aber auf Hessen ge—
laden, dieses „vermaledeite, verfluchte, sibirische Land, dem ich alle meine
haͤuslichen Leiden zu danken habe“. Umso besser gefiel es ihm am
Hanauer Hofe, von dem er spaͤter, trotzdem er auch hier Schiffbruch litt,
im „Roman seines Lebens“ ein außerordentlich guͤnstiges Bild entwarf:
„Wenn ich je einen Hof gesehen habe, wo mir alles so wohl gefallen
hat, so war es dieser. So viel ungezwungene Hoͤflichkeit gegen Fremde;
so ein guter, nicht geschraubter Ton; so eine gute, gnaͤdige Herr⸗
schaft; so viel Haͤuslichkeit und Einigkeit! Man glaubt ein wohlgeordnetes
Privathaus zu sehn, und doch fehlt es gewiß in keinem Stuͤcke am
Anstaͤndigen“.
Die von Mariens Zeiten her uͤbliche Gepflogenheit, Casseler Rene—⸗
gaten in Hanau besonders freundlich aufzunehmen, kam auch Knigge
zu statten. Ohne ein offizielles Amt zu bekleiden, verstand er es bald
sich zum anerkannten Leiter der Vergnuͤgungen am Hofe aufzuschwingen,
wozu er mit seinen gesellschaftlichen, literarischen und musikalischen Ta—
lenten besonders befaͤhigt war. Knigges Erscheinen fiel zusammen mit
einem laͤngeren Aufenhalt des Prinzen Carl und seiner Familie, die
nach 8 jaͤhriger Abwesenheit im Herbst 1777 den Hanauer Geschwistern
wieder einen laͤngeren Besuch abstatteten und sechs Monate lang am
Main weilten, wo sie auch den kuͤrzlich mit dem schwedischen Seraphinen⸗
orden geschmuͤckten Bruder Friedrich antrafen. Wie gewoͤhnlich brachte
das Zusammensein der drei Bruͤder und namentlich die Gegenwart Carls
neues Leben in die kleine Residenz. Unter den zahlreichen Gaͤsten, die
damals nach Hanau kamen, glaͤnzte besonders die Gemahlin des daͤ—
nischen Reichsstagsgesandten Die de zum Füuͤrstenstein), eine weltberuͤhmte
Schoͤnheit, die uͤberall, wo sie auftrat, die Herzen der Maͤnner ent—
hannoͤverischer Oberhauptmann in Bremen, wo er 1706 starb. Seit 1773 war er
berheiratet mit Henriette v. Baumbach⸗Nentershausen, die von ihm geschieden 1808 starb.
Vergl. meinen Aufsatz „Knigge in Hanau, in Hess. Blaͤtter 1918, Nr. 4252.
1) Wilh. Khristoph v. D. zum F.* 1732, starb als der letzte seines alten hessischen
Geschlechtes am 1. Dez. 1807 zu Hannover. Jerome belehnte nachmals seinen Guͤnst⸗
ling Le Camus mit den heimgefallenen Guͤtern und erhob ihn zum Grafen v. Fuͤrsten—
stein. Diedes 20 Jahre juͤngere Gemahlin Ursula, geb. Graͤfin Callenberg war schon
bor ihm 1803 zu Bassano gestiorben. Wilhelms aͤlteste Tochter Friederike besuchte 1816
ihr Grab und schickte dem Kurfuͤrsten die Inschrift ihres Monumentes. Vgl. auch
Goͤrz v. Schlitz) Memoiren eines deutschen Staatsmannes (1833), S. 69.