Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Regierungstaͤtigkeit Raͤuberwesen 
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rastlose Taͤtigkeit, die fuͤr seine Grafschaft die Quelle vieler heilsamer 
Einrichtungen und Verbesserungen wurde. Die regelmaͤßigen Landes⸗ 
touren schaͤrften seinen Blick fuͤr manche Schaͤden der Verwaltung und 
Justiz, die er zu beseitigen suchte. Der Bau der Landstraßen wurde 
fleißig fortgesetzt und ihre Raͤnder mit Baͤumen bepflanzt. „Jeder 
Reisende,“ hieß es spaͤter in Schloͤzers vielgelesenen Staatsanzeigen, „der 
das Hanauische passiert, wird gestehn muͤssen, daß die dasigen Chausseen, 
welche mit Kastanienbaͤumen, Pappeln ꝛc. besetzt sind, unter die vor⸗ 
zuͤglichsten Deutschlands gehoͤren, und den Fuͤrsten fuͤr diese wohlthaͤtige 
Anstalten segnen,“ ein Lob, fuͤr das Wilhelm sehr empfaͤnglich war. 
Nach dem Mißerfolg der „Gesellschaft der Wohlthaͤtigkeit,“ (vergl. oben 
S. 84) erwies sich die Gruͤndung einer Sterb⸗ und Begraͤbniskasse 
(sog. 50 fl. Kasse, 1. Sept. 1768), sowie einer Civilwitwen⸗ und Waisen⸗ 
kasse (23. Nov. 1769) als sehr segensreich, wie uͤberhaupt die Armen— 
pflege und die beiden Hanauer Waisenhaͤuser sich der Gunst des Re— 
genten erfreuten. Das alte Salzhaus, die ehemalige Residenz der letzten 
Graͤfinwitwe, das eine Zeit lang die Militaͤrakademie beherbergt haͤtte, 
wurde 1772 zu einem Arbeitshaus fuͤr arbeitsscheue Tagediebe eingerichtet 
und zugleich wurde eine strenge Armen⸗ und Bettelordnung erlassen. 
Die Rechtspflege der Beamten kontrollierte Wilhelm persoͤnlich und lieh 
jedem Untertanen, der sich dabei unterdruͤckt fuͤhlte, bereitwillig sein Ohr. 
Große Sorge machte ihm die Zunahme des Raubgesindels, das in 
mehr oder minder organisierten Banden damals das westliche Mittel⸗ 
deutschland unsicher machte. Nach dem Siebenjsaͤhrigen Kriege war eine 
neue Bluͤte des deutschen Raͤuberwesens angebrochen, deren zweifel— 
hafte Romantik von der Mitwelt sehr uͤbel empfunden wurde. Zwischen 
Fulda und Wuͤrzburg, vom Odenwald und Spessart bis zum Vogels⸗ 
berg und weit ins Hessische hinein trieben besonders die Oberlaͤndische 
und die Wetterauische Raͤuberbande ihr Unwesen, uͤberfielen Posten und 
Reisewagen, pluͤnderten Muͤhlen und Wirtshaͤuser und wagten sich so— 
gar bis mitten in die Ortschaften, wo sie namentlich die Juden aufs 
Korn nahmen, deren Glaubensgenossen mit ihnen vielfach im Bunde 
standen. Ihre Fuͤhrer und Hauptleute genossen eine weitgehende Be— 
ruͤhmtheit, und man nannte auf den Doͤrfern die Namen des Alten Wilhelm, 
der von Haus aus ein Musikant war, und seiner Genossen, des Druckers )), 
des Saujakob, des Siebenrippigen, eisernen Henrichs, Linksgeigers, Schin⸗ 
derstoffels und wie diese deutschen Rinaldos alle hießen, mit scheuem 
1) Er hieß eigentlich Joh. Stelzner, war aus Brotterode im Schmalkaldischen und 
endete erst 1812 zu Cassel auf dem Schaffott. Vgl. Grolmann, Aktenmaͤßige Geschichte 
der Vogelsberger und Wetterauer Raͤuberbanden. Gießen 1813.
	        
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