Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

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Wilhelm in Cassel 1775 
halten — sodaß er, um ihren lauten Ovationen zu entgehn, aus der 
Stadt nach dem Weißenstein fluͤchtete. Der Plantageninspektor Carl 
du Ry, ein juͤngerer Bruder des Architekten, der den Hauptanteil an der 
Erbauung des neuen Cassels hatte, gehoͤrte zu denen, die den Spuren 
Wilhelms folgten. Er erzaͤhlt daruͤber in einem Briefe: „Unser Erb⸗ 
prinz war schon gegen 4 Uhr Morgens auf den Beinen, um die alten 
und neuen Gebaͤude zu besichtigen. Gegen zehn Uhr traf ich ihn auf 
der Oberneustadt beim franzoͤsischen Hospital, gefolgt und umgeben von 
einer großen Menge Menschen; alt und jung, groß und klein lief hinter 
ihm her und sagte: „Das ist der Erbprinz.“ Endlich von diesem Haufen 
ermuͤdet, ging er aus dem Weißensteiner Tor hinaus und befahl der 
Schildwache, niemanden hinaus zu lassen. Dann wandte er sich um 
die Mauer, als wenn er nach dem Koͤlnischen Tor zu wollte; die Menge, 
durch diese Handlungsweise getaͤuscht, lief nach dem Koͤnigsplatz, im 
Blauben, daß er daruͤber zuruͤckkehre. Ich ging denselben Weg mit 
dem jungen Herrn Huber. Als wir in der Naͤhe des Wilhelmstores 
borbei kamen, sagte uns die Schildwache, die es durch eine Ritze wahr⸗ 
genommen hatte,)) er sei auf seinem Wege zuruͤckgekehrt. Wir machten 
es ebenso und eilten mit großen Schritten zur Weißensteiner Allee. Dort 
stellten wir uns vor dem Amelung'schen Hause auf, wo er vorbeikam, 
begleitet vom dicken Malsburg. Er machte einen großen Teil des Weges 
zu Fuß und schlief zu Weißenstein. Die Wasser ließ er aber erst am 
andern Morgen um fuͤnf Uhr spielen, um der Menschenmenge aus dem 
Wege zu gehn.“ 
Mit Entzuͤcken atmete Wilhelm die lang entbehrte Luft des Habichts⸗ 
waldes, schuͤttelte aber auch bisweilen den Kopf angesichts mancher 
Spielereien, mit denen sein Vater die Umgebung des Weißensteins 
zeziert hatte. Die stuͤrmische Neugier der Casselaner, die ihm auch hier⸗ 
hin gefolgt war — „nur der Adel hielt sich fern und blieb im Hinter⸗ 
grund“ — trieb ihn weiter nach Wilhelmstal. Hier gedachte er lebhaft 
des verehrten Großvaters, besuchte von da aus noch Geismar und 
Farlshafen und war dann noch drei Tage lang als Gast bei der Fa— 
milie v. d. Malsburg zu Elmarshausen. Über Wabern und Marburg 
kehrte er am 23. Juni hochbefriedigt von seiner achttaͤgigen Reise nach 
Hanau zuruͤck. 
Trotz seiner zahlreichen Reisen — er war ja fast immer unterwegs — 
fand der ungewoͤhnlich arbeitsame und geschaͤftige Prinz Zeit fuͤr eine 
1) Das Wilhelmstor befand sich am Ende der Wilhelmsstraße und war fuͤr ge⸗ 
woͤhnlich geschlossen.
	        
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