102 Geburt des Stammhalters Wilhelm und Darmstadt
großen Festlichkeiten getauft und erhielt den Namen des Großvaters
Friedrich. Mit aͤngstlicher Sorgfalt uͤberwachte Wilhelm die Ent—
wicklung des lebhaften Kindes, in dem er nur Zuͤge seines eigenen Ichs
zu entdecken glaubte, und konnte es gar nicht abwarten, bis er den
Jungen in der geliebten Soldatenuniform stecken sah. Als Friedrich
groͤßer war, mußte er auch den Vater auf seinen Touxen durch das
Land begleiten. Es war einer der Hoͤhepunkte seines Lebens, als Wil⸗
helm den zehnjaͤhrigen Prinzen zum ersten Male bei einer solchen Ge—
legenheit seinen Untertanen zeigen konnte.
Fuͤr gewoͤhnlich machte der Erbprinz seine Besichtigungsreisen nur
in Begleitung Galls oder seines Adjutanten v. Kreutzburg oder
spaͤter des Oberstleutnants v. Wintzingerode, der dessen Nachfolger
wurde. Auch sein Bruder Fried rich pflegte ihn zuweilen zu begleiten,
wenn er in Hanau war, ebenso wie sein alter Lehrer der General
d. Huth, der von 1776—82 wieder im Lande weilte. Nur selten
schloß sich Karoline an, wenn einmal ein laͤngerer Aufenthalt in
Steinau oder Babenhausen geplant war, oder wenn es in den Bieber—
grund ging, wo die Bergleute einmal im Juni 1773 in ihren alten
Kostuͤmen vor dem fuͤrstlichen Paare in Parade erschienen. Sonst sah
man die Landesfuͤrstin außerhalb Hanaus eigentlich nur in Babenhausen,
dessen altes Schloß 1774 neu eingerichtet und moͤbliert war und seitdem
oͤfters als Sommerresidenz neben Philippsruhe diente.
Sehr oft war der Erbprinz in diesen Jahren in Darmstadt, weil
ihm sehr darum zu tun war, die Verbindung mit der juͤngeren Linie
seines Hauses enger zu knuͤpfen. Den seit 1768 regierenden Landgrafen
Ludwig L. einen der sonderbarsten Fuͤrsten der Zopfzeit, traf er
allerdings dort nur einmal. Der lebte ja fast ausschließlich in seinem
Riesenexerzierhause zu Pirmasens, komponierte dort seine zahllosen
Militaͤrmaͤrsche ) und konnte sich von seinen geliebten Soldaten nicht
trennen. Wilhelm besuchte ihn am 20. Sept. 1769 in Darmstadt und
kam zu dem Urteil, daß man diesen prince singulier erst genauer
kennen muͤsse, um seine Eigenart wuͤrdigen zu koͤnnen und uͤber seine
facçons nicht zu erstaunen. Umso mehr lernte er die Gemaͤhlin Ludwigs
die große Landgraͤfin Caroline geb. Pfalzgraͤfin von Zweibruͤcken
schaͤtzen, die getrennt von ihrem Gatten in Darmstadt sich ganz ihrer
Familie widmete. Im Herbst 1772 fand er den Darmstaͤdter Hof in
1) Nach seinem eigenen Tagebuch hat er bis Ende 1789 uͤber 92 000 (2) Maͤrsche
komponiert. Vgl. Esseiborn, Pirmasens und Buchsweiler (Friedberg 1917), ein vor—
treffliches Bitd der Zeit Ludwigs LX.