Landgraͤfin Philippine Wilhelms Reise nach Schleswig 1772 101
Liebe, sondern nur um der Versorgung willen, wie aus den finanziellen
Verhandlungen vor der Hochzeit hervorgeht. Vierzehn Tage vor der
Trauung gab ihr Onkel Friedrich der Große (se war eine Tochter
seiner Schwester Sophie) ihr den Rat, à faire bien votre bourse
dans ce pays, d'avoir un gros legs testamentaire du Landgrave,
de placer votre argent hors de son pays et de vous retirer après
sa mort où vous le jugerez convenable, den sie auch getreulich
befolgte ). Jedenfalls wurde die zweite Ehe des Landgrafen nicht viel
gluͤcklicher, als seine erste gewesen war, nur daß es diesmal zu keinem
offenen Bruche kam. Die Versoͤhnung mit seinen Soͤhnen wurde aber
durch diesen Schritt des Landgrafen wieder auf lange Jahre hinaus
aufgeschoben, wenn auch der „Segen noch ungebohrner Enkel“, den die
Hochzeitspoeten „voll froher Ahndung“ kommen sahen, der Landgraͤfin
Philippine versagt blieb.
Im Juli 1772 erhielt der Erbprinz die Nachricht vom Tode seines
Patenkindes, des kleinen Prinzen Wilhelm (f 11. Juli zu Schleswig),
und schnell entschlossen machte er sich auf den Weg zu seinem durch
diesen neuen Todesfall hart betroffenen Bruder, den er seit dem Tode
der Mutter noch nicht wieder gesehen hatte. Ohne Anmeldung traf er
am 27. Juli an der Schlei ein, wo Prinz Carl in laͤndlicher Einfach—
heit in einem Gutshofe wohnte, neben dem das nach seiner Gemahlin
benannte Schloß Luisenlund erst errichtet werden sollte. Die fuͤnffaͤhrige
Prinzessin Marie, die spaͤtere Koͤnigin von Daͤnemark (S. 90, Anm.)
erkannte zuerst den Oheim und meldete ihn den Eltern, die keine Ahnung
von seinem Kommen hatten und mit umso freudigerer Ruͤhrung ihn
empfingen. Die Bruͤder haͤtten sich viel zu erzaͤhlen. Wilhelm berichtete
von den letzten Stunden der Mutter, und Carl von den Aufsehen er⸗
regenden Ereignissen in Kopenhagen, dem Sturz und der Verhaftung
Struensees und der Gefangennahme der ungluͤcklichen Koͤnigin Caroline
Maͤthilde. Drei Wochen lang durchstreiften sie zu Wasser und zu Lande
die Umgebung von Luisenlund, und Wilhelm genoß in vollen Zuͤgen die
landschaftlichen Reize des schleswigschen Kuͤstenlandes, das er erst nach
35 Jahren unter den traurigsten Umstaͤnden als Fluͤchtling wieder sehen
sollte. Am 16. August kehrte er nach Hause zuruͤck. Auf dem Heimweg in
Zahrendorf begegnete ihm der Piqueur Fuhr mit der Freudenbotschaft,
daß seine Frau ihm am 8. August den laͤngst sehnlich erwarteten Erben
geschenkt habe. Am 20. August wurde der neugeborene Prinz unter
1) Den Rat,
zerreißen, hat sie
diesen etwas verfaͤnglichen Brief des weltklugen Oheims sofort zu
merkwuͤrdigerweise nicht befolgt. Vgl. Hohenzollernjahrb. 15, 287.