Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

7. Hanaus „guͤldene Zeiten“ 
172285 
Me dem Tode der Landgraͤfin Marie beginnt eine neue Periode 
im Leben Wilhelms. Er hat um seine Mutter geweint wie 
nur je ein Sohn, und dennoch mischte sich in diese tiefe, aufrichtige Trauer 
das Gefuͤhl, erst jetzt ganz sein eigner, auch durch die Ruͤcksicht auf die 
Mutter nicht mehr beschraͤnkter Herr zu sein, und bei einer so ausge⸗ 
sprochen autokratischen Natur wie der des hessischen Erbprinzen mußte 
dies Gefuͤhl der voͤlligen Emanzipation ihm eine gewisse Befriedigung 
gewaͤhren, die ihm bisher gefehlt hatte. Erst jetzt konnte er in vollem 
Umfange den Liebhabereien nachgehen, denen bisher das warnende Wort, 
manchmal auch nur das bloße Dasein Mariens Zuͤgel angelegt hatte, 
so besonders seiner Baulust und seinem Hang fuͤr das Militaͤrwesen, 
die von jetzt an ihn mehr und mehr beherrschten. Bedenklicher noch 
waren die Folgen auf sittlichem Gebiete, wo Wilhelm sich von nun an 
in einer Weise gehen ließ, wie er es bei Lebzeiten seiner Mutter nie ge⸗ 
wagt haben wuͤrde. Das empfand er auch selbst mit den schwersten 
Gewissensbissen, aber er war zu schwach, den Versuchungen zu wider⸗ 
stehen, die ihn bei seiner ungluͤcklichen Ehe auf denselben Weg draͤngten, 
den sein Ahnherr Philipp der Großmuͤtige vor ihm gegangen war. 
Welchen Wert der Prinz auf seine voͤllige Unabhaͤngigkeit legte, das 
sollte sich bald zeigen, als die Versuchung an ihn herantrat, einen Teil 
derselben zu opfern. 
Kurz nach dem Begraͤbnis der Landgraͤfin reiste er noch im Februar 
1772 mit seinem Bruder Friedrich nach Kirchheim⸗Bolanden, um den 
weilburgischen Freunden fuͤr die erwiesene Teilnahme zu danken und in 
ihrem Hause die traurigen Eindruͤcke der letzten Wochen zu vergessen. 
Hier erhielt er einen Brief des ihm befreundeten mainzischen Ministers 
v. Groschlag,!) der ihn nach Mainz einlud und dort am 2. Maͤrz 
1) Carl Friedr. v. Groschlag (1729 —99), der letzte seiner alten Familie, 1761 - 74 
Großhofmeister in kurmainzischen Diensten, „ein wohlgebauter, im Außern bequem, 
aber hoͤchst anstaͤndig sich betragender Weltmann“ nach Goethes Urteil. Rach Kur— 
fuͤrst Emmerichs Tode verlor er alle seine Amter und siarb spaͤter in Wien.
	        
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