Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

Mutter und Sohn Erkrankung der Landgraͤfin 97 
Mit sorgenvoller Anteilnahme verfolgte die Landgraͤfin Marie die 
Herzenskaͤmpfe ihres heißgeliebten, aͤltesten Sohnes, mit dem sie, solange 
er abwesend war, in staͤndigem Briefwechsel blieb. Kurz vor seiner 
Ruͤckkehr schrieb sie ihm am 22. November 1771 noch einmal: „Gott 
segne und behuͤte meinen teuersten Bylly! Kehre mit gesundem Leib 
und Gemuͤt zu uns zuruͤck und dann wirst du uns gluͤcklich machen.“ 
Dieser Brief sollte, wie sie schrieb, ihr letzter sein und wurde es auch 
wirklich, aber in anderer Weise als Mutter und Sohn gedacht haͤtten. 
Die Landgraͤfin war sehr gluͤcklich daruͤber, daß es ihr gelungen 
war, den Erbprinzen aus den Banden „jener Kreatur“ zu befreien und 
ihn wieder auf den rechten Weg der ehelichen Pflicht zuruͤckzufuͤhren. 
Das Einvernehmen zwischen ihm und Carolinen schien wieder voͤllig 
hergestellt, und noch einmal, am 11. Juli 1771, hatte Marie die Geburt 
eines Enkelkindes, der Prinzessin Caroline, dankbaren Herzens begruͤßen 
koͤnnen. Seitdem Carl mit seiner Familie nach Schleswig gezogen war, 
hatte die Landgraͤfin nur noch ihren aͤltesten Sohn staͤndig um sich, an 
dem ihr Herz ja von jeher mit besonderer Liebe hing. Und wenn Wilhelm 
sich auch in die eigentlichen Regierungsgeschaͤfte nicht gern von ihr 
hineinreden ließ, so gab es doch sonst nichts, was sein Herz bewegte, 
das er nicht mit seiner angebeteten Mutter besprochen haͤtte. Fast taͤg⸗ 
lich ritt er zweimal hinuͤber nach Rumpenheim, wo Marie jetzt im Sommer 
wohnte, und fuͤhrte so das „Leben eines Postillons“, weil er den staͤndigen 
Verkehr und die Aussprache mit seiner Mutter nicht entbehren konnte. 
Und die Landgraͤfin war bei allen Sorgen und Schmerzen hochbegluͤckt 
uͤber das Vertrauen ihres Bylly, der ihr gerade nach seiner Herzens⸗ 
affaͤre wieder ganz besonders nahe gekommen war. 
Erst zu Anfang des Winters 1771 siedelte sie nach Hanau uͤber, 
wo die ausgezeichnete franzoͤsische Schauspielertruppe des Theaterdirektors 
Bernardi ihre zweite Saison eroͤffnet hatte. Als große Theaterfreundin 
versaͤumte die Landgraͤfin keine Vorstellung, bis sie sich am 6. Januar 1772 
im Theater erkaͤltete und das Zimmer huͤten mußte. Von einem Arzte 
wollte sie nichts wissen, und als der Leibmedikus Socin, ein Baseler, 
der an der hohen Landesschule das Fach der Medizin vertrat, endlich 
aach 8 Tagen gerufen wurde, da war es schon zu spaͤt. Am 13. sah 
sie ihre beiden Soͤhne Wilhelm und Friedrich noch einmal bei sich, em⸗ 
pfing sie voͤllig angekleidet, konnte aber kaum noch sprechen. Der Tee— 
tisch stand bexeit, zu dem sie die Soͤhne am Abend wieder einladen wollte;: 
denn sie wollte sich nichts merken lassen, aber der Todesengel hatte ihre 
Stirn schon gezeichnet. Wilhelm konnte seinen Schmerz und seine Ver⸗ 
Losch, Kurfuͤrst Wilhelm J.
	        
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