Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

92 Ludwig von Wuͤrttemberg Christian VII in Hanau 1768 
des regierenden Herzogs Carl Eugen sich 1767 in der Naͤhe, in Wasser⸗ 
loos, niedergelassen hatte. Der Herzog hatte eine Graͤfin Beichlingen 
geheiratet, die ihre Kinder ganz à la Rousseau erzog und zu Wilhelms 
Entsetzen die drei jungen Prinzessinen in Wasserloos halbnackt herum—⸗ 
laufen ließ. In seiner Begleitung war der beruͤchtigte Oberst Rieger, 
der ehemalige Guͤnstling des regierenden Herzogs Carl Eugen, den dieser 
eigenhaͤndig schimpflich degradiert und 4 Jahre lang auf dem Hohen—⸗ 
twiel im Gefaͤngnis hatte schmachten lassen, bis er nach Wasserloos 
fluͤchten konnte, wo er als Maͤrtyrer eine große Rolle spielte. Herzog 
Ludwig war franzoͤsischer General gewesen und trug seine unein⸗ 
geschraͤnkte Vorliebe fuͤr das Franzosentum so zur Schau, daß der hessische 
Erbprinz lebhaften Anstoß daran nahm und es nicht allzusehr bedauerte, 
als der Wuͤrttemberger nach einigen Jahren seine Residenz nach Weiltingen 
berlegte. 
Am 15. Juni 1768 wurde die fuͤrstliche Familie auf einmal durch 
den Besuch des jungen Koͤnigs Christians VII. überrascht. Die 
Prinzessinnen waren gerade zu einer lustigen Fahrt auf der sog. Wurst) 
aufgebrochen, als ihnen dicht hinter der Kinzigbruͤcke der daͤnische Koͤnig 
begegnete, der auf der Fahrt nach Paris begriffen, seine Schwestern und 
Schwaͤger in Hanau besuchen wollte. Die Freude des Wiedersehens 
war allgemein. Der Koͤnig bezauberte durch seine ausgelassene Laune 
den ganzen Hof, wenn auch sein Begleiter, der alte Bernstorff, im Ge— 
spraͤch mit dem Erbprinzen seine Sorge uͤber die Bizarrerien seines Herrn 
nicht unterdruͤcken konnte. In ein paar rauschenden Festtagen ungetruͤbter 
Froͤhlichkeit wurden dem hohen Gast alle Sehenswuͤrdigkeiten der kleinen 
Residenz vorgefuͤhrt, wobei ein Manoͤver und eine Parade uͤber des 
Prinzen Regiment (so hieß das Bataillon seit Anfang des Jahres) 
nicht fehlen durfte. Der Besuch endigte mit einer Besichtigung des 
Schlachtfeldes von Bergen, worauf der Koͤnig am 22. von Frankfurt 
aus seine Reise nach Holland, England und Frankreich fortsetzte. Auch 
auf dem Ruͤckweg kam Christian VII. durch Hanau und verweilte wieder 
dort einige Tage, vom 21. —24. Dezember. Aber man fand ihn stark 
beraͤndert, er zeigte sich viel zuruͤckhaltender, und man glaubte den Ein⸗ 
fluß seines mit ihm gekommenen Leibarztes und Vorlesers Struensee 
deutlich zu bemerken, der bald fuͤr den Monarchen und noch mehr fuͤr 
dessen junge Frau, die ungluͤckliche Koͤnigin Caroline Mathilde, so ver⸗ 
haͤngnisvoll werden sollte. 
1) Wagen mit langer, schmaler Sitzreihe, auf der die Fahrenden Ruͤcken an 
Ruͤcken saßen.
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.