Rheinfahrt der Landgraͤfin mit ihren Soͤhnen 1768 91
Die Landgraͤfin Masrie war sehr gluͤcklich, ihre Kinder wieder alle
beisammen zu haben; denn auch Prinz Friedrich, der wegen der un⸗
klaren daͤnischen Verhaͤltnisse auf ihren Wunsch Kopenhagen Anfangs
1768 ebenfalls verlassen mußte und statt dessen in hollaͤndische Dienste
getreten war (er erhielt das Dragonerregiment Ditfurth), brachte seine
lange Urlaubszeit regelmaͤßig in Hanau zu. Als die Landgraͤfin nun
gar ihren Herzenswunsch erfuͤllt und sie ihre ersten Enkelkinder zur Welt
kommen sah, da fuͤhlte sie sich wieder jung werden, und ihr alter Unter⸗
nehmungsgeist erwachte wieder. Im Juli 1768 lud sie ihre beiden
altesten Soͤhne zu einer Wasserfahrt ein: die beiden jungen Frauen mußten
wegen ihrer gegenwaͤrtigen oder zu erwartenden Mutterpflichten zuruͤck⸗
bleiben. Kein Mensch außer der Landgraͤfin hatte eine Ahnung, wo
die Reise hinging. Auf dem Main stieg die Gesellschaft, nur von einer
ganz kleinen Suite begleitet, am 12. Juli ins Schiff, sah die Tuͤrme
von Frankfurt und Mainz voruͤberziehn, fuhr durchs Binger Loch am
Maͤuseturm und an den Burgen des Rheins vorbei, sah Neuwied, Bonn,
Poppelsdorf, Bruͤhl, den Koͤlner Dom, und Wilhelm meinte schon,
es sollte nach Holland gehn, um den Bruder Fritz im Haag zu uͤber⸗
raschen, als in Duͤsseldorf das Ziel der Reise erreicht wurde. Die Land⸗
graͤfin wollte ihren Soͤhnen die beruͤhmte kurfuͤrstliche Gallerie)) zeigen,
deren niederlaͤndische Meisterwerke zu manchen Vergleichen mit der Casseler
Sammlung Wilhelms VIII. Veranlassung boten. Am 18. Juli wurde
der Heimweg zu Lande angetreten, er war kuͤrzer aber nicht ohne Aben⸗
teuer. In Remagen geriet des Prinzen Stallmeister v. Wulffen mit
einem groben Postmeister aneinander, und als er sich dazu hinreißen ließ,
dem Manne eine Ohrfeige zu geben, kam der ganze Ort in Aufruhr
gegen die Reisenden, die fluchtartig, von einem kleinen Jungen gefuͤhrt,
auf halb uͤberschwemmten Nebenwegen erst in dunkler Nacht Andernach
erreichten, wo sie die vorausgefahrene Landgraͤfin wieder trafen.
Da Wilhelm bemuͤht war, durch oͤftere Besuche verwandter und
nachbarlicher Hoͤfe, eine enge Verbindung mit seinen Standesgenossen
zu unterhalten, so war Hanau gerade in dieser Zeit das Ziel zahlreicher
fürstlicher Gaͤste, die durch ihr Erscheinen den Glanz des kleinen, gastfreien
Hofes erhoͤhten und alle nicht genug das ungezwungene, natuͤrliche Leben
daselbst und die Liebenswuͤrdigkeit des Erbprinzen zu ruͤhmen wußten.
Ein lebhafter Verkehr entwickelte sich auch mit dem Herzog Lud wig
bon Württemberg, seitdem dieser Bruder und spaͤtere Nachfolger
1) Sie bildete spaͤter mit den Grundstock zur Muͤnchener Pinakothek Ludwigs J.