Full text: Kurfuerst Wilhelm I. Landgraf von Hessen. Ein Fuerstenbild aus der Zopfzeit

CKarolinens Krankheit 1706 Wilhelms Reise 1766 87 
leicht die Enttaͤuschung zu verschmerzen. Die Landgraͤfin gab ihrem Sohn 
den Rat, seinen alttestamentlichen Standpunkt, daß der Mann der Herr 
und Meister im Hause sein muͤsse, nicht zu schroff zu vertreten. Wilhelm 
war kein Haustyrann, aber es fehlte ihm an diplomatischem Geschick und 
vor allen Dingen an Geduld, sich mit der Eigenart und den Schwaͤchen 
seiner Frau abzufinden. Alle seine Versuche, sie fuͤr sich zu erziehen, scheiterten 
an ihrem passiven Widerstand und an der Schwaͤche ihrer geistigen Faͤhig⸗ 
keiten, und so blieb ihm nichts anderes uͤbrig, als sie gewaͤhren zu lassen. 
Im Spaͤtherbst 1765 erkrankte Karoline gefaͤhrlich an den Blattern, 
und mit der Sorge um ihr Leben erwachte auch Wilhelms alte Liebe 
zu ihr aufs neue. Er wich nicht von ihrem Krankenlager trotz der 
Bluthitze des ungeluͤfteten Krankenzimmers, von der die Aerzte eine 
zuͤnstige Einwirkung auf ihren Zustand erwarteten. Ein leichter Brand 
in den darunter liegenden Zimmern des Erbprinzen zwang die Kranke 
schnell in einen anderen ungeheizten Raum umzuquartieren, was nach 
Wilhelms Meinung hauptsaͤchlich zu ihrer Rettung beitrug. Caroline 
genas, aber schrecklich waren die Verwuͤstungen, die die Krankheit in 
ihrem Aeußern hinterließ. Das ganze Gesicht war entstellt, von tiefen 
Blatternarben uͤbersaͤt, die Augenbrauen verschwunden, und Wilhelm 
fand „keine Aehnlichkeit mehr mit den lieblichen Zuͤgen, die ihn einst 
so entzuͤckt hatten“. Noch mehr als er, der seine Bestuͤrzung schwer 
verbergen konnte, litt die Prinzessin selber unter dieser Entstellung, die 
ihre Neigung zu scheuer Zuruͤckhaltung noch verstaͤrkte. Bald darauf 
brachte ein Kurier von Kopenhagen die Nachricht von dem Tode Koͤnig 
Friedrichs V. (f 13. Januar 1766), und wenn Caroline auch bei 
seinen Lebzeiten nicht viel von ihrem Vater gehabt haͤtte, so fuͤhlte sie 
sich jetzt doch doppelt vereinsamt, schutzlos und verlassen. 
Der Erbprinz ehrte das Andenken seines Schwiegervaters und lang— 
jaͤhrigen Beschuͤtzers durch eine allgemeine Hof⸗ und Landestrauer, an 
der er selber aufrichtigen Anteil nahm. Um auf andere Gedanken zu 
kommen entschloß er sich im Fruͤhsahr 1766 zu einer groͤßeren Reise 
aach dem Elsaß und nach Lothringen. Am 19. Maͤrz verließ er Hanau. 
Er reiste incognito unter dem Namen eines Grafen v. Haxthausen, nur 
der Oberst v. Gall, sein ihm immer unentbehrlicher werdender Ver— 
trauter, begleitete ihn. Von Heidelberg sandte er seiner Mutter eine 
ringehende Schilderung der romantischen Schoͤnheit der Neckarstadt mit 
dem hochragenden Schloßbau, dessen Ruinen ihn an die Mord— 
brennereien der verhaßten Franzosen exinnerten. In Schwetzingen ge— 
fiel ihm der neuangelegte englische Schloßgarten mit Menagerie. Auch
	        
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