Inspektionsreisen Gesellschaft der Wohltatigkeit 88
an der Tagesordnung gewesen waren, fanden bei diesem guͤtlichen Ein⸗
vernehmen der beiden Fuͤrsten ihre Schlichtung; und wenn Wilhelm
auch den Tod seiner Mutter abwartete, ehe er zuließ, daß der katholische
Pfarrer von Steinheim, zu dem die Hanauer Katholiken gingen, in
Hanau selbst Amtshandlungen verrichtete, so wurde doch damals schon
der Grund zu der religioͤsen Toleranz gelegt, die seine Regierung aus—
zeichnete.
Im Mai 1765 begann Wilhelm seine erste Tour durch das Land.
Er besuchte der Reihe nach alle Aemter, war in jedem Dorfe und fuͤr
jeden seiner Untertanen zu sehen und zu sprechen. Alljaͤhrlich wieder—
holte er von nun an diese Inspektionsreisen regelmaͤßig und war bald hier
bald dort, um Wuͤnsche und Beschwerden entgegen zu nehmen und uͤberall
nach dem Rechten zu sehen. Diese Gepflogenheit, die er seinem Groß—⸗
vater Wilhelm VIII. abgesehen hatte, war etwas ganz Neues fuͤr die
Hanauer, die seit Menschengedenken, wenigstens in den entlegenen Orten
und Landesteilen ihre Landesherren nicht von Angesicht zu Angesicht
gesehen hatten. Wilhelm gewann dadurch nicht nur eine genaue Kenntnis
seines Landes, er kannte zuletzt auch jeden einzelnen Beamten mit Namen
und erwarb sich bald das Vertrauen des gemeinen Mannes ebensosehr,
wie er die bisher sich selbst uͤberlassenen und kaum kontrollierten Be—
amten durch sein oft unvermutetes Erscheinen an ihrem Wirkungsorte in
heilsamem Respekt vor dem allgegenwaͤrtigen jungen Landesherrn erhielt.
Weniger allgemeinen Beifall fanden andere Regierungsmaßregeln,
die er selber als tastende Versuche eines Anfaͤngers bezeichnet. Wie
die Landgraͤfin Marie 1764 noch waͤhrend der Vormundschaftsregierung
durch Einrichtung einer Lotterie — der Einsatz betrug 2 fl. das große
Los gewann 1500 fl. — die darniederliegenden Finanzen ohne Erfolg
zu verbessern suchte, so mißgluͤckte auch die Gruͤndung einer Leibrenten⸗
versicherung, einer sog. Tontine, zu der sich Wilhelm 1767 durch zwei nach
Hanau gekommene Spekulanten Georg Jakob Gegel und Carl Kaysin
bereden ließ. Diese Gruͤndung, wohl die erste ihrer Art in Hessen, be—
ruhte auf einer merkwuͤrdigen Kombination von Rentenversicherung und
Lotterie. Alle Christen jeden Alters und Geschlechts konnten Mitglieder
der „Gesellschaft der Wohltäaäͤtigkeit“ werden, mußten nur 10 fl.
Eintrittsgeld und in jedem Quartal 45 kr. Beitrag zahlen. Dafuͤr sollten
alljaͤhrlich 600 Mitglieder ausgelost werden, die am Bartholomaͤustag
Renten im Gesamtbetrag von 15000 fl. fuͤr ihre Lebenszeit ausbezahlt
erhielten. Alle zehn Jahre wurden nur die vor der Hochzeit stehenden
Jungfern ausgelost und konnten auf eine Aussteuer von 1000 fl. rechnen.