Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

umeinanderschleife, wo die vielen anderen, die er doch reich 
lich verdient habe ob seiner Gutheit für das Büblein selig 
Und dann die letzte Waffe, mit der die Weiber immer siegen, 
je sicherer, je unvermittelter die angreift. Die „Nachbarsche“ 
schluchzte los, als sei tatsächlich einer ihrer Ehre nahege. 
lreten. Das täte sie an ihre böse Sache erinnern! „Der? 
hätte ihr auch Geld hingeworfen, einen Haufen Geld! — 
And ihre Lieb bezahlen wollen! — And sie tot gemacht 
damit! — Und — und — das Feuer brenne doch eineweg! 
— And ein bißle müsse sie doch für ein lebendes Wesen 
sorgen Lönnen! Und etwas für's Herz müsse man doch haben 
auf der Weltl — And wie das Kind kommen wär' — 
und wie's fortgemußt hätt' — und sonst noch alles — — 
und — und — ums Vergeltsgott hätt' er's doch nur — 
so gelaufen — so gemacht — so gesorgt! And dann mit aus— 
brechender Wildheit: Hinausscheren solle er sichl Sein Sach 
wärmen lassen, wo er wollt! And sie fände schon noch — —! 
Da war er zusammengefahren, hatte ungeschickt um 
Verzeihung gestottert, hatte mit überstürzendem Wortschwall 
die heiligsten Versicherungen gegeben, war dann mit einer 
bühnen Wendung auf das richtige Mittel gebommen, die 
Tränenflut zu stillen, hatte von seinem Erlebnis berichtet 
und von dem ungeahnten Ausgang und hatte damit die 
Evasnakur ganz unbewußt richtig eingeschätzt, und zuguter⸗ 
letzt las er ungehindert und strahlend — strahlend, weil die 
„Nachbarsche“ ja auch wieder strahltel — sein Stücklein vor. 
Wie die endlich einen Schlucken, dem seinen vom Sonntag 
verteufelt ähnlich, so leidlich überwunden hatte, warf sie ihm 
ein paar Worte hin, die sie nachmals gern hätt' zurück- 
genommen. 
„Schreiber — ei, ich sag's ja — ich hab's immer gesagt 
— daß Ihr zu gut seid — fürs Batzenschreibenl“ Noch 
einmal lachke sie hellauf. „Stille Wasserl — nein, so was! 
— So lustig Pack!“ Und dann auf einmal fast feierlich: 
„Schreiber, Ihr werdet noch einmal so'ne wirbliche Geschichte 
schreiben, viele, viele Seiten langl“ And dann ein wenig 
weinerlich. „Und die Nachbarsche braucht Euch dann nichts 
mehr zu wärmen! Kennt die Nachbarsche einfach nicht mehr! 
Paßt auf, so kommt's, Schreiber!“ 
Aber das Lachen, das lustig als Antwort auf das 
Lamento herübergluckerte, strafte ihre Angste Lügen. And 
dazu kam die bündige VDersicherung: „Nix wird, Nachbarsche) 
Haͤbt so wenig recht, wie der gute Kantor Lämmerhirt selig 
„Kerll“ hat der immer gesagt und die Brille auf die Stirne 
geschoben, und das tat er nur in ganz feierlichen Augen. 
blicken, „begreif einer, wer's kannl Tut kaum das Maul 
auf, der Duckmäuser, und auf dem Papier wuselt er herum 
wie die Jungenten auf dem Stinbloch.“ Was unser Brand-⸗ 
weiher gewesen ist, Brandweiher, Pferdeschwemme, Luxus 
bad und Ententümpell — „Kerl, schreibst du die erste 
Geschichte und verhohnipelst etwa deinen alten Kantor drin, 
dann hält mich das bißchen Erde nicht drunten!“ und er 
hat vieljagend nach dem breiten Kiemen hingeblinzelt, der 
immer als sehr eindrucksvolles Menetebel quer über der 
ersten Bank hing. — Er wird nit um seine Kuh bommen, 
der gute alte Lämmerhirtl — Und Ihr kommt nicht ums 
Wärmen, Nachbarschel — Gott zum Gruß!“ Und dann 
war die Türe zugeschnappt, und von drüben war noch ein— 
mal ein Lachen herübergelaufen, das klang, als gieße einer 
den Spott gleich eimerweise über sich selber. 
Nein, er dachte nicht daran, eine wirbliche Geschichte zu 
schreiben. An diesem Abend gewißlich nicht. 
Es wäre eine sehr naheliegend gewesen, eine, die seine 
liebe Nachbarin als Hauptperson brachte, eine, die aller 
Welt begreiflich gemacht hätte, wie die nebenan nach heißer 
Liebe, nach bitterer Enttäuschung, nach Schmerzen des Leibes 
und der Seele ohne Sahl dennoch zum Frieden gekommen 
war mit Gott und den Menschen. 
Da wäre etwas ganz Anderes heraus gekommen, als 
die paar Außerlichkeiten, die nachbarliche Teilnahme über 
die beiden Leutchen der Nachwelt aufbewahrt hat. Vom 
Schreiber selbst war außer vielen Worten des Lobs über 
die Sonnenruhe des Gemüts seiner alten Bebannten trotz 
der ungezählten Gewittertage, über ihr mütterlich Sorgen 
rotz des schweren Gebrechens auch nicht viel mehr zu 
—X 
Drei Monate hatten sie gewiß nebeneinander gewohnt 
ind keins vom andern Notiz genommen außer gelegentlichem 
Hrüßgott. Das war ihm an dem Tag zwischen den Sähnen 
techen geblieben, als er merkte, was mit „der drüben“ der 
Märe war. Doch war ihm ihr Zusammenfahren in unguter 
Frinnerung geblieben und ihr tieftrauriger Blick. So hatte 
ein liebes Lämmchen dazumal ihn angeschaut, als er nach 
itteren Trãnen es endlich dem Schlachter überliefert hatte, der, 
nit beiden groben Fäusten in die weiche Wolle fassend, es 
»on ihm weggerissen hatte in den Tod. Gibst du mich denn 
virklich auch auf? hatte der Blick der Nachbarin ihn ange— 
oettelt, und angstvoll war etwas drin aufgezuckt, als hätte 
ꝛben einer den Stab über einem ganz Ahnungslosen gebrochen. 
Es mußte aber noch eine harte Erfahrung dazu kommen, 
his dem Schreiber die Deutung jenes Blickes ward, und bis 
dahin war „die drüben“ nicht mehr vorhanden. 
Ein Stöhnen hatte ihn aufgeweckt, ein Ton, vor dem 
die dünne Wand noch weniger war als ein seidiges Papier. 
Der ihn aufriß und in die Kleider fahren ließ. Der ihn 
an die Tür nebenan stieß, der ihm den Mund aufbrach zu 
einer heiseren Frage. 
Und das Wimmern, das dann fadendünn wie von einem 
zranben Kätzlein den schrecklichen Ton ablöste, das warf ihn 
zu sinnloser Hast die dunkle Treppe hinunter, das peinigte 
im Jagen durch die nächtigen Straßen so lange, bis er den 
BSeistand der „weisen Frau“ bei „der drüben“ helfend wußte. 
Allein hatte „die Armste drüben“‘ das schwerste und er— 
jehnteste, das schmerzhafteste und glücklichste Leid der Frau 
erkragen! 
Da war alles ausgelöscht, was an Vorurteil in ihm 
geglüht hatte. Es schwelte nur noch der Ebel über sich selbst, 
und er mied ein paar Sonntage die Kirche, weil er sich 
nicht für würdig fand der Gemeinschaft frommer Menschen. 
AUnbewußt entstand ihm eine andere Kirche, das Stüb— 
lein nebenan. Eine Heilige drin. Holdeste Anschuld ihr 
zur Seite. Ein Altar das Bett. Eine Predigt voll tiefster 
Erschütterung die paar Worte, die ihn hineinblicken ließen 
in ganz unbekannte menschliche Wege. 
Er hatte, ungeschickt stotternd, an der Türspalte mit der 
weisen Frau geheimnisvoll wispernd, seine Hilfe angetragen, 
der Schreiber. Man hatte ihn für wert gehalten, nach dem 
und jenem zu laufen. Und eins hatte er unaufgesfordert 
nitgebracht und seine paar Batzen geplündert. Ein Schäf- 
sein war's mit seidigem Fell, das schönste des Ladens, und 
noch nicht einmal aufgezuckt war er bei dem Heidenpreis. 
Aber das herzlich verwunderte leise Lachen, das zu ihm 
durch die Türspalte herausschlupfte, und die paar undeutlichen 
Vorte, die wie eine richtige Schelte sich aufspielten, aber 
wie eine gutmütige Schelte, die brachten ihm richtig das 
Herz aus dem Tabt, und die wichtig wispernde Stimme, die 
hm zusetzte, übermorgen müsse er einmal ein Augenblicklein 
herein kommen, man sei ganz ungeduldig, ihm selbst ein wenig 
zu danben, diese ein wenig wie von menschlicher Wohlgenährt- 
heit eestickte Stimme erschien ihm voll Melodie. Und das 
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