ihm alles näher als das Lachen. Wohlvberwahrt war aber
die teuere Brille auf der Schreibstube zurückgeblieben.
Man hatte ja jetzt auch eine zweite zu Hause und brauchte
das Arbeitsglas nicht mit unnötigem Transport zu gefährden.
Fast mehr aus Spielerei schob das Schreiberlein vor der
bärglichen Mahlzeit das alte formgefaßte Glas auf die Nase.
Und wieder schien tolle Hexerei im Spiel. Eitel Gemütlich-
beit nahm ĩm Handumdrehen Platz ĩm Stüblein, und weggewischt
waren Arger und Müdigkeit und die Angst vor der Zubunft,
und das Schreiberlein griff, als sei das täglich so seine
Hewohnheit vor gutem Essen, so recht behaglich nach der Seitung.
Im rosigsten Licht sah es alles durch die mächtige hornene
Srille. Die Buren hätten dem englischen Vetter das Leder
verhauen. „Gut!“ zensierte wohlgelaunt das Männlein, als
sei es von jeher Gevattermann gewesen mit der hohen
Politil. Und es bestand sein ganzes politisches Glaubens
bhebenntnis doch lediglich aus einem einzigen Sprüchlein, und
das zeugte von allem, nur nicht von politischer Keife. Alle-
weil es mit dem Schwachen halten, so lautete das Sprüchlein.
Dann las es in sichtlich noch mehr gehobener Stimmung
weiter, der kranke Mann am Bosporus dahinten schiene
wieder ein wenig kräftiger zu atmen. „Sehr gut!“ geruhte
das Männlein zu bemerken. Was brank war, hatte noch
immer seine herzliche Teilnahme erweckt.
Dem Koman schenkte es sonst aus einer unerbklärlichen
Bescheidenheit beinerlei Beachtung. Heute blieb's dran
hängen eine ganze Diertelstunde. Ob's die Brille vielleicht
nĩcht daran vorbeikommen ließ? „Ausgezeichnet! Endlich
einmal das richtige Futter fürs Volk!“ And es prüfte streng
sachlich das Lebensschicksalsteilchen auf dem Papier nach
WMahrheit und nach der Güte der Fassung.
Und dann kanzte ihm auf einmal alles vor den Augen.
„Ein neuer Sturm auf den Geißberg.“ Der Schreiber
wußte nicht recht, was 'auf dem Kopf stand, er, oder die
Welt. Mit keinem Gedanben hatte er an dem ganzen langen
Morgen an sein Erlebnis gedacht. Am Abend vorher war's
ihm im Bett als ein Streich dummer Jungen erschienen,
sein Schreibwerk als Narretei, seine heillose Vergeudung des
schönen Papiers als der helle Wahnsinn. Aber da hatte
ihm auch nicht mehr die alte Brille auf der Nase gesessen,
dieses niederträchtige Monstrum, dem er's verdankte, daß nun
ein ganzer Sonntag hingegangen war in sträflichem Nichtstun
und im verbotenen Verlangen nach Luft, Licht und Freude
und daß nun die Riesenschuld am Monatsende sich um einen
weiteren Groschen erhöhte.
Seinem eignen Opus gab das Schreiberlein beine Sensur.
Und doch las es das Stücklein gewißlich ein halb dutzend-
nal herunter, prüfte kritisch jedes Wort, wog sorglich jede
Vendung, ließ sein Essen erkalten, aß gedankenlos drei Löffel
Suppe und fing dann mit dem eingehenden Studium wieder
»on vorne an. Es urteilte aber nicht.
Das hatte dafür die Seitung um so gründlicher getan,
ind wie der Fassungslose dann endlich den Glückwunsch
ʒerausbuchstabiert hatte, den ein gänzlich übersehener Brief
hm von dem Seitungsmann übermittelte und der obendrein
jar von einer bald eintretenden Vergütung redete — dem
deser blieb der Zusammenhang noch eine Weile ein unlös-
»ares Kätsjell — wie's ihm endlich zu dämmern begann, daß
hm, dem bleinen Schreiberlein, solche Ehre widerfahren war
ind solcher Keichtum winbte, da war's um seinen letzten Kest
on Fassung geschehen.
Sls senñs ein Schulbüblein, das der strenge Herr Lehrer
insanft gebeutelt hatte ob seiner nichtsnutzigen schriftlichen
deistung, so heulte der närrische Ehrenreich los, büßte unter
trömenden Tränen die inhaltschwere Botschaft und kniff sich
ein über das andere Mal in die glühende Wange, sich zu
überzeugen, ob er denn wirblich nicht träume.
Wanbte endlich wie trunken aus dem Haus und kam
um reichlich eine Minute zum Mittagsdienst zu spät. Sum
erstenmal in den langen Jahren.
In leidlicher Haltung empfing er tags drauf vom Geld⸗
nann drei hell blinkende Taler, sieben Groschen und fünf
Pfennig bleine Münze, und mit nachlässiger Geberde schob
ee alles, was nicht Silber war, dem freundlichen Bringer
als sichtbares Seichen der Anerbennung wieder hin.
„Na, nun lassen Sie's mal gut seinl!“ sagte der richtig
erlegen und nahm nur die paar Pfennige weg. Es war
hm wohl gewoesen, als habe der alte Kaffeepott und die
S chũjsel mik Pellkartoffeln daneben ein deutlich Halt geboten
ind die Armut rundum im Stübchen ihm verweijend auf
die Finger geschaut. Ein paar Eier möge der Herr Krösus
ich lieber kaufen und ein richtig Stück Brathleisch unter die
zähne schieben! Er sprach den Gedanben nicht aus. Der
Hlanz in alten Augen hinderte ihn daran, und als könnte
das Männlein ihn doch erraten haben, vielleicht durch ihn
rus seinen Himmeln heruntergestürzt werden in die kahle
Kammer, und als müsse er ihn darum rasch ablenken, rief
er im eiligen Weggehen scherzend: „Die nächste Erbschaft
»egleßen wir aber, Alter! Dann muß'n Taler dran glauben
für'n Liter vom besten Koten!“
Juni õ Von Helene Brehm.
Lichtgrau die Nächte, so strahlend die Tage,
Als ob ein jeder nur Glückslast trage!
Auf düstern Mauern duftschwerer Holunder,
Jeder Morgen ein Kosenwunder.
Grillenzirpen und Heimchensingen,
ιι- Sοeα b. At elhu gι X9Yä *
Auf Heimatwegen.
Der rote See bei Dens
Kreis Rotenburg).
VDon Dr. Hermann Böhme.
Eins der interessantesten Gewässer unserer engeren Heimat
bietet sich im roten See bei Dens (Kr. Rotenburg, Richelsdorfer
Gebirge) dar. Dieser See, der einzige Kurhessens, hat sich durch
seine Färbung eine Berühmtheit in der BSiologie deutscher Süß—
*) Nus der Verf. Gedichtsammlung „Aus meinem Garkten“, Heimatschollen-
Oerlag, A. Bernecker, Melsungen.
Fern schon ein erstes Sensenblingen.
düfte, durchjubelt von Vogelsängen,
Felder, die zur Vollendung drängen.
UÜber der Halme friedsamem Wogen
Wölbt sich der siebenfarbige Bogen.
wasserseen erworben und damit in der allgemeinen —A
iberhaupt. Man erreicht ihn mit der Bahn Eichenberg ·Bebra in
swa einer Stunde von der Station Cornberg aus ũber Gut Menglers
der von Sontra aus ũber Hornel und Mönchhosbach. Das etwa
dd Einwohner zahlende Dörfchen Dens (1206 Spatens · Superiortens)
ennzeichnet sich durch seine Kirche Beatl Martini, die schon 1302
Erwãhnung findet, als jehr alte Siedlung. Hier war das Geschlecht
zer Kitter von Baumbach begütert; sie erbauten burz vor 1348
die in tiefstem Waldfrieden bei Nentershausen gelegene Burg
Tannenberg, „das hus tzu deme Thannberg“.