Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

ihm alles näher als das Lachen. Wohlvberwahrt war aber 
die teuere Brille auf der Schreibstube zurückgeblieben. 
Man hatte ja jetzt auch eine zweite zu Hause und brauchte 
das Arbeitsglas nicht mit unnötigem Transport zu gefährden. 
Fast mehr aus Spielerei schob das Schreiberlein vor der 
bärglichen Mahlzeit das alte formgefaßte Glas auf die Nase. 
Und wieder schien tolle Hexerei im Spiel. Eitel Gemütlich- 
beit nahm ĩm Handumdrehen Platz ĩm Stüblein, und weggewischt 
waren Arger und Müdigkeit und die Angst vor der Zubunft, 
und das Schreiberlein griff, als sei das täglich so seine 
Hewohnheit vor gutem Essen, so recht behaglich nach der Seitung. 
Im rosigsten Licht sah es alles durch die mächtige hornene 
Srille. Die Buren hätten dem englischen Vetter das Leder 
verhauen. „Gut!“ zensierte wohlgelaunt das Männlein, als 
sei es von jeher Gevattermann gewesen mit der hohen 
Politil. Und es bestand sein ganzes politisches Glaubens 
bhebenntnis doch lediglich aus einem einzigen Sprüchlein, und 
das zeugte von allem, nur nicht von politischer Keife. Alle- 
weil es mit dem Schwachen halten, so lautete das Sprüchlein. 
Dann las es in sichtlich noch mehr gehobener Stimmung 
weiter, der kranke Mann am Bosporus dahinten schiene 
wieder ein wenig kräftiger zu atmen. „Sehr gut!“ geruhte 
das Männlein zu bemerken. Was brank war, hatte noch 
immer seine herzliche Teilnahme erweckt. 
Dem Koman schenkte es sonst aus einer unerbklärlichen 
Bescheidenheit beinerlei Beachtung. Heute blieb's dran 
hängen eine ganze Diertelstunde. Ob's die Brille vielleicht 
nĩcht daran vorbeikommen ließ? „Ausgezeichnet! Endlich 
einmal das richtige Futter fürs Volk!“ And es prüfte streng 
sachlich das Lebensschicksalsteilchen auf dem Papier nach 
WMahrheit und nach der Güte der Fassung. 
Und dann kanzte ihm auf einmal alles vor den Augen. 
„Ein neuer Sturm auf den Geißberg.“ Der Schreiber 
wußte nicht recht, was 'auf dem Kopf stand, er, oder die 
Welt. Mit keinem Gedanben hatte er an dem ganzen langen 
Morgen an sein Erlebnis gedacht. Am Abend vorher war's 
ihm im Bett als ein Streich dummer Jungen erschienen, 
sein Schreibwerk als Narretei, seine heillose Vergeudung des 
schönen Papiers als der helle Wahnsinn. Aber da hatte 
ihm auch nicht mehr die alte Brille auf der Nase gesessen, 
dieses niederträchtige Monstrum, dem er's verdankte, daß nun 
ein ganzer Sonntag hingegangen war in sträflichem Nichtstun 
und im verbotenen Verlangen nach Luft, Licht und Freude 
und daß nun die Riesenschuld am Monatsende sich um einen 
weiteren Groschen erhöhte. 
Seinem eignen Opus gab das Schreiberlein beine Sensur. 
Und doch las es das Stücklein gewißlich ein halb dutzend- 
nal herunter, prüfte kritisch jedes Wort, wog sorglich jede 
Vendung, ließ sein Essen erkalten, aß gedankenlos drei Löffel 
Suppe und fing dann mit dem eingehenden Studium wieder 
»on vorne an. Es urteilte aber nicht. 
Das hatte dafür die Seitung um so gründlicher getan, 
ind wie der Fassungslose dann endlich den Glückwunsch 
ʒerausbuchstabiert hatte, den ein gänzlich übersehener Brief 
hm von dem Seitungsmann übermittelte und der obendrein 
jar von einer bald eintretenden Vergütung redete — dem 
deser blieb der Zusammenhang noch eine Weile ein unlös- 
»ares Kätsjell — wie's ihm endlich zu dämmern begann, daß 
hm, dem bleinen Schreiberlein, solche Ehre widerfahren war 
ind solcher Keichtum winbte, da war's um seinen letzten Kest 
on Fassung geschehen. 
Sls senñs ein Schulbüblein, das der strenge Herr Lehrer 
insanft gebeutelt hatte ob seiner nichtsnutzigen schriftlichen 
deistung, so heulte der närrische Ehrenreich los, büßte unter 
trömenden Tränen die inhaltschwere Botschaft und kniff sich 
ein über das andere Mal in die glühende Wange, sich zu 
überzeugen, ob er denn wirblich nicht träume. 
Wanbte endlich wie trunken aus dem Haus und kam 
um reichlich eine Minute zum Mittagsdienst zu spät. Sum 
erstenmal in den langen Jahren. 
In leidlicher Haltung empfing er tags drauf vom Geld⸗ 
nann drei hell blinkende Taler, sieben Groschen und fünf 
Pfennig bleine Münze, und mit nachlässiger Geberde schob 
ee alles, was nicht Silber war, dem freundlichen Bringer 
als sichtbares Seichen der Anerbennung wieder hin. 
„Na, nun lassen Sie's mal gut seinl!“ sagte der richtig 
erlegen und nahm nur die paar Pfennige weg. Es war 
hm wohl gewoesen, als habe der alte Kaffeepott und die 
S chũjsel mik Pellkartoffeln daneben ein deutlich Halt geboten 
ind die Armut rundum im Stübchen ihm verweijend auf 
die Finger geschaut. Ein paar Eier möge der Herr Krösus 
ich lieber kaufen und ein richtig Stück Brathleisch unter die 
zähne schieben! Er sprach den Gedanben nicht aus. Der 
Hlanz in alten Augen hinderte ihn daran, und als könnte 
das Männlein ihn doch erraten haben, vielleicht durch ihn 
rus seinen Himmeln heruntergestürzt werden in die kahle 
Kammer, und als müsse er ihn darum rasch ablenken, rief 
er im eiligen Weggehen scherzend: „Die nächste Erbschaft 
»egleßen wir aber, Alter! Dann muß'n Taler dran glauben 
für'n Liter vom besten Koten!“ 
Juni õ Von Helene Brehm. 
Lichtgrau die Nächte, so strahlend die Tage, 
Als ob ein jeder nur Glückslast trage! 
Auf düstern Mauern duftschwerer Holunder, 
Jeder Morgen ein Kosenwunder. 
Grillenzirpen und Heimchensingen, 
ιι- Sοeα b. At elhu gι X9Yä * 
Auf Heimatwegen. 
Der rote See bei Dens 
Kreis Rotenburg). 
VDon Dr. Hermann Böhme. 
Eins der interessantesten Gewässer unserer engeren Heimat 
bietet sich im roten See bei Dens (Kr. Rotenburg, Richelsdorfer 
Gebirge) dar. Dieser See, der einzige Kurhessens, hat sich durch 
seine Färbung eine Berühmtheit in der BSiologie deutscher Süß— 
*) Nus der Verf. Gedichtsammlung „Aus meinem Garkten“, Heimatschollen- 
Oerlag, A. Bernecker, Melsungen. 
Fern schon ein erstes Sensenblingen. 
düfte, durchjubelt von Vogelsängen, 
Felder, die zur Vollendung drängen. 
UÜber der Halme friedsamem Wogen 
Wölbt sich der siebenfarbige Bogen. 
wasserseen erworben und damit in der allgemeinen —A 
iberhaupt. Man erreicht ihn mit der Bahn Eichenberg ·Bebra in 
swa einer Stunde von der Station Cornberg aus ũber Gut Menglers 
der von Sontra aus ũber Hornel und Mönchhosbach. Das etwa 
dd Einwohner zahlende Dörfchen Dens (1206 Spatens · Superiortens) 
ennzeichnet sich durch seine Kirche Beatl Martini, die schon 1302 
Erwãhnung findet, als jehr alte Siedlung. Hier war das Geschlecht 
zer Kitter von Baumbach begütert; sie erbauten burz vor 1348 
die in tiefstem Waldfrieden bei Nentershausen gelegene Burg 
Tannenberg, „das hus tzu deme Thannberg“.
	        
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