Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

nicht halb jo schlimm dran gewest, wie jolch ein armer Schlucker 
Schreiber, der zwei gesunde Augen gut gebrauchen kbönnte, und 
der Laum eins von zweifelhafter Güte sein eigen nennt! Sehn 
Groschen bostet die Brille ganz gewiß beĩ den teuren Seiten! 
Und wenn sie gar des Montags in der Frühe nicht gemacht wäre? 
Da fuhr der hart Geprüfte wie der Wind aus der Türe 
und die Treppen hinunter, gab dem Brillenmann viele gute 
Worte, versprach in die Hand hinein Bezahlung am Abend 
des kommenden Ersten und wanbte dann, weil er sein Glas 
erst am Montag vor Dienst sich holen bonnte, ganz gebnickt 
nach Hause. 
Um den liegengebliebenen Papierberg in der Schreib— 
tube tanzten in selbiger Nacht, weil sie so etwas noch 
uemals erlebt hatten, ein halb DOutzend Mäuse wie besessen. 
Woher die zehn Groschen nehmen? quäbte eine zudringliche 
Stimme dem Anglücklichen auf dem Heimweg immerfort in 
die Ohren. And rechnen mußte er, immerzu rechnen: ein 
Taler dem Schneider, zwei für Miete — ohne die zwei vom 
ergangenen Monat! — eine lange Leiter beim Nachbar 
Krämer! — ein Buch Papier für die Sonntagsarbeit zu 
Hausel — — Da zuckte er zusammen. der hart gestrafte 
Schreibersbnecht. 
Sie bleibt ja nun ungeschrieben, die Sonntagsarbeit! 
Veil der Teufel die Brille — —! And nun fehlt am 
Monatsschluß gewiß noch ein weiteres ganzes Dutzend 
Groschen! — And man kann also seine Schulden längst nicht 
alle bezahlenl — And wird über die Achseln angesehen! — 
Und gemieden! — And gewißlich verhöhnetll „Batzenschreiber, 
SBatzenschreiber!“ hörte der Armste schon in allen Tonarten 
ufen. Da rann ihm der Schweiß von der Stiene, und die 
Wände seines Stübleins hallten wider von seinen fassungs- 
iosen Klagen. 
Sis ihm dann auf einmal wie ein Blitz der Gedanke durch 
den schmerzenden Kopf fuhr, es habe doch irgendwo in seinem 
alten Schreibtijch einmal eine Brille gelegen aus Großvaters 
Zeiten. Vielleicht passe die zu — —, und er kbniete schon 
»or dem wurmzerfressenen Ungetüm, riß Schublade um 
Schublade heraus, warf den ganzen Plunder darin in heil- 
osem Durcheinander auf den Boden und fand endlich ganz in der 
Tiefe in einem versteckten Fach die Brille. Fand auch, 
'ast hätte der Gute vor Freude getanzt, ein altertümliches 
Schreibzeug für eine Tasche und eine blitzblanbe Feder. 
Und dann schob er aufatmend die mächtige hornene 
Srille über die Nase — er wußte gar nicht, warum ihm so 
eigen dabei warl — und äugte prüfend in die Mähe und 
über die ungezählten Dächer weg in die meilenferne Weite. 
Und kanzte jetzt wirklich. Und pfiff. And versuchte ein Lied⸗ 
ein zu brummen. 
Er sah ja durch die Brille! Er sah gut durch die Brille! 
Es wollte ihm scheinen, als ob sogar das linke Auge — —, 
er konnte den Gedanben nicht völlig ausdenken, so sehr 
zlopfte ihm das Herz. Kaum wagte er's, eine Probe zu 
machen, und hätte dann fast aufgeschrieen vor Jubel. 
Allles, alles sah er, mit einem Auge, mit beiden, links, 
eechts, ganz gleich, wie er's auch versuchte. 
And wie alles rund herum auf einmal ganz anders aussah! 
Ei der Tausend, der Sonnenschein bonnte ja lachen! 
Sagen hören hatte er so etwas schon des öftern und in der 
Schule im dicken Lesebuch auch wohl einmal in einem 
Gedichtlein davon gelesen. Jetzt sah er's zum erstenmal 
mit eigenen Augen. Das war ja wie in einem Wärchen. 
„Giehste mit?“ rief deutlich eine Schwalbe und schoß 
übermütig davon. Er fand schon gar nichts mehr dabei, daß 
o ein Schwälblein reden bann. Einzig das war vielleicht 
nuffällig, daß es echt Gusiner Deutsch sprach. And er 
achte: „Giehste mit? Sie kbann wirkblich Gusinerisch, die 
schwalbel*“ And wortgetreu übersetzt, heißt das Gezwitscher: 
„Gehst du mit?“ und in Gusinen deutet's beiner anders. 
And sein Stübchen schien ihm auf einmal angefüllt mit 
den unbegreiflichsten Wundern, vom alten Schreibtisch an, 
er behaglich knackte und gewiß aus seiner Jugend erzählte, 
his hin zur verschossenen Tapete, die auf einmal recht wie 
»in Dirnlein in buntem Mieder unter dem bewundernden 
Zlich eines verliebten Burschen ordentlich schämig erglühte. 
Nun winbte auch gar noch mit birnenbehängtem Spieß 
der alte Nachtwächter Birnbaum nach dem Fenster hinauf., 
ind da war's um das Schreiberlein geschehen. Den Hut riß 
s herunter, und das alte Weerrohr kramte es ungeduldig 
eraus aus seinem Ahrbastenverlies — es hatte Jahrzehnte 
ort geschmachtet, das Meerrohr! — und dann stürmte einer 
lindlings zur Türe hinaus, getrieben von einem ganz un- 
rhörten, nie gebannten Drange voll Leichtsinns. 
„Laß sein! Bleibl“ knarrte mächtig gedehnt als einzige 
Varnerin die alte Türe. „Sleib daheim! Schreib, schreib!“ 
edachte sie bei der Kückbehr in die alte Kuhe auch noch 
zu eufen. Doch fehlte ihr der Atem dazu, den sie stöhnend 
innötig verpuffte, sich wieder in die gewohnte liebe Lage 
u versetzen. Ob sie nun wohl auch an dem schlimmen toten 
Zunkt hänge und elendiglich eingehen müsse, wollte die 
ilte Tür noch rätjeln. Da hing sie schon in wohltuender 
Ohnmacht schief in den gukmütigen Angeln. And ist dieser 
cüre jahrzehntelang solch eine Schwäche nie widerfahren. 
Doch wäre trotzdem dem ersten Warnruf das Schreiber- 
ein beinahe erlegen. Es stutzte einen Augenblick auf der 
5chwelle. Einen mächtigen Papierberg sah es dräuen, um 
en herum ein gräulich kalter Wind KRechnungen in allen 
Heößen wirbelte. Und über ihm gleißte häßlich eine große 
nahnende Eins bis hinauf in die Wolben. 
Da stach ein becker Sonnenstrahl mit feurigem Stäng- 
ein blitzschnell in das Getümmel. Und es wurde wieder 
ĩnmal aus einer bleinen Ursache eine große Wirbung. „Ei 
vas!“ rief das Schreiberlein leichtsinnig lachend. „Soll 
msereins denn ewig der dumme Schulbub sein? — Und 
er Arbeitsenecht? — And beine Freud haben im ganzen 
deben nit? — Hol der Teufel die ganze Schreibereil“ 
Und es kreiselte auf dem Absatz herum und schoß die Treppen 
inunter. Es muß aber sicher so gewejen sein, daß bein 
inderer als der Höllensohn selbst mit einem Glutspieß hinein- 
gestochen hatte in den mahnenden Spub. 
Es hatte aber — was wahr ist, soll's bleiben! — der 
deichtsinn das Schreiberlein doch nicht gerade bis in die 
iußersten Haarspitzen hinein ergriffen. Die Hände hatten 
ie unerhörte Wandlung kbeineswegs mitgemacht. Sie hatten 
astig noch das alte Schreibzeug und die Feder gepackt und 
ersenkten sie schnell in einer der weiten Taschen, und, 
vohl weil da noch so viel ungenutzter Platz sich vorfand für 
jut ein halb Kies Papier, stopften sie das Stößlein auch 
ioch hinein. Was man bei Schreibershänden so Stopfen 
iennt! Es ist nachmals noch nicht das winzigste Ejelsohr 
ran zu finden gewesen. 
Und weil das Schreibersknechtlein doch die treuen 
Zände nit gut sich bonnte ängsten lassen, sagte es ein wenig 
egütigend noch schnell: „Schreiben wir halt draußen am 
Valdrand ein bissel, wo das Tischlein steht vor der bleinen 
Zank!“ Aber es klang wirklich ein wenig oben hinaus 
esagt, und die Gedanken waren gewißlich nicht dabei, und 
arum blieb der Papierberg in der Schreibstube — ohne 
übertreibung gesagt: diese unersetzliche Grundlage seines
	        
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