Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

eine Flasche, die aussah wie eine Kirmesbutellje, nur aus 
hellem Glas, da zog der Weingeist die guten Säfte aus, 
wenn sie am Fenster in der Prallsonne stand, und dann 
leuchtete der Trank tief rubinrot. Soll mal einer sagen, er 
wäre an Schwindsucht gestorben, der Slutwurzelschnaps 
getrunken. Gegen alles hatte die Kräutern ein Mittel, 
gegen jed' Gebrest bei Mensch und Tier, gegen Bachstein- 
fieber bei Schweinen und Nierenverschlag bei Pferden. Seit 
Menschengedenkben war in ihrer Familie die Heilbunst vererbt 
dis auf sie herab, und sie war die letzte von ihrer Sippe. 
Sie war eine gottesfürchtige Frau, nicht nur fromm am 
Sonntag, nein allezeit, und so kam auch bein Klatsch an sie, 
selbst wenn ihre Kuren seltsam waren, wie die gegen Gicht. 
Das war so: Die Gichtknoten bonnten noch so dick sein, 
die Hände noch so verkrümmt — die Keäutern streute ein 
Pulver auf das Bettlaben des Leidenden, tat sein Wasser 
in eine Flasche im Ofenröhr, dann mußte der Kranke schwitzen, 
Träume 5 Von 
Die Säuerin geht herum mit einem Gesicht wie ein 
Topf voll Mäuse, ihr hat geträumt, daß sie schmutzige 
Wäsche in trübem, reißendem Wasser wäscht, das bedeutet 
Böses, wie jedes Kind weiß. Und der Knecht pfeift 
morgens über die Hofstatt weg, er sah im Traum rote 
Kosen und bebam einen King von Gold. Da geht sie 
verdrossen in den Tag und hat nichts wie Arger, und er 
faßt alles heute froh an, und es läuft ihm gut von der 
Hand. Ja, und warum sollte einem Traum nicht wirbklich 
borahnende Bedeutung beizumessen sein? Wenn der Nachbar 
todmüde unter die Decke briecht, nach einem Arbeitstag, 
der um vier Ahr früh anfing und abends um neun Ahr 
aufhörte, aber lange nicht Ruh findet, den Nachtwächter 
die Stunden abrufen hört und sich von einer Seite auf die 
andere wirft, weil irgendeine uneingestandene Sorge sein 
Gemüt bedrückt und er dann im Traume sieht, daß Schlimmes 
ihm zustößt: zehn gegen eins, es wird Lommen! 
Ich nehme die wurmzernagte Chronik der Lorenze vom 
Bord, die geht noch zwei MWenschenalter weiter zurück 
als das dicke Kirchenbuch. Einer meiner Spillmagen, der 
mit dem Landgrafen in die Sterne guckte, hat sie ange— 
fangen. War ein Sinnierer, der Magister Jürgen wie 
sein Herr, und auf den braunvergilbten Blättern trug er 
mit schnörkeliger Handschrift ein, was er erlebte, dachte und 
träumte. Immer wieder kehren seine Gedanken zurück zu 
dem Swillingsbruder des Genius mit der umgebehrten Fackel, 
zu ihm, der in den Locken den Mohnbranz trägt, von dessen 
schimmernden Blüten wie Tautropfen matte Perlen nieder⸗ 
rinnen —, die Träume. Andere Seiten, andere Träume. 
„Mir hat heinte getracumet“, schreibt der Magister, und dann 
ziehen vorüber: Aussätzige Leute, Büttel, Stadtbnechte 
und Gaubler, Halseisen, Galgen, Wölfe, Armbrüste, Kitter, 
Harnisch, Blechhandschuhe, Schwefelkränze, beschossene 
Burgen und Geiseln, er träumt von Ahrin“) Geschirr, daß 
er die Bruch angelegt und Agrimonia-Wurzeln ißt. — 
Hier erzählt er von der Bauern Not, von dem Bauernbrieg, 
wie des Landgrafen Dater mit Georg von Sachsen und 
Heinrich von Braunschweig den Thomas Münzer griff 
bei Frankenhaujen, daß das „Schwert Gideonis“ hinsank 
vom Richtjchwert getroffen, und fährt dann fort: — „Der 
aufrührerischen Bauern Heerführer hatte einen Traum, als 
ob er in einen Stall viel Macuse angetroffen und verjagt 
haette: Da meynete er alsbald, GOTT habe ihn geoffen- 
hahret, er solte ausziehen, und alle Fuersten, Herrn und 
1irden 
ind die Knoten vergingen, die steifen Finger streckten sich, 
ꝛx war gesund. Aber einmal, beim Nebelbeckemüller, war 
»er Ofen zu heiß, die Flasche zersprang, das Wasser lief 
ischend über die Ofenplatte — und der Kranbe bekam den 
anzen KRücken voll Brandblasen. Wenn der Kreisphysibus 
in den Susammenhang geglaubt hätte, wäre ihr eine Klage 
vegen Körperverletzung gewiß gewesen. Er glaubte nicht 
aran, auch nicht an Forels Ausführung über das Entstehen 
on Brandblasen durch hypnotischen Einfluß, trotzdem Forel 
ĩn großer, richtiger Arzt ist, wenn auch bein bloßer 
„chuldobtor. 
In dem altersschwarzen Türbalken an dem Hause der 
Träutern stand der Spruch geschnitten: „Gott läßt die Arznei 
ius der Erde wachsen, und der VDernünftige verachtet sie 
ücht.“ Sie hat seine Arznei treulich gesucht, jahrein, jahr— 
ius, ihr Leben lang; deshalb war sie für uns alle nur die 
„FKräutern“. 
Conrad Güuünther. 
Fdelleute als Maeuse verjagen. Hat auch bald Schloesser 
ind Kirchen gepluendert und viel vom Ndel verjaget und 
gefangen genommen; Allein es ist ihm und seinem Anhange 
o bekommen, daß in die hundert und funffzigtausend ge— 
lieben sind.“ Wie mit dem letzten der Söhne von Heinrich II. 
»as Haus VBalois eerlischt, berichtet Jürgen folgendes: — 
Da des Koenigs in Franbkreich Vater seine Tochter 
Flisabeth an Philipp vermaechlet, that er etliche scharffe 
Zennen. Als er des anderen Tages wieder daran wollte, 
raeumete Katharina, sie sehe ihn gar blutig niederfallen und 
zine Krone dreimal springen bis sie brach, bat derowegen 
lehentlich, er moechte das Kennen nachlassen. Aber er 
erharrete auf seinen Sinn und ward selben Tages vom 
Hrafen Montgomerh, der seine Lantze am Helmsturtßz des 
ckoenigs brach, durch ein Auge in den Kopf gerennet, daß 
r mit großen Schmerzen Leben und Koenigreich verlieren 
nußte.“ — Da hätte nun Heinrich glauben sollen und der 
Nünzer nicht? Ehren Jürgen erblärt es so; Wie GOTT 
„hne Sweifel im Traume Glueck und Anglueck zeiget, so 
ejchieht auch wohl, daß Satan durch ebensolch Mittel sein 
ßaukelwerk veruebet, wobey man sich wohl fuerzusehen hat, 
zaß man Boeses und Gutes wohl unterscheide, und ver— 
uuenftig in allen Stuecken nachsinne. Waere auch manchen 
deuten besser gewesen, wenn sie nicht liederlich der Traueme 
Varnungen in den Wind geschlagen, haben mehr denn zu 
fft eingetroffen. Haette sich Pilatus durch seines Weibes 
raum bewegen lassen, er wuerde den boshafftigen Jueden 
icht gewillfahret und den unschuldigen GOTTES Sohn 
um Tode verurtheilet haben. Calapina, Juliü-Caecsars 
Zemahlin, tracumete, daß sie ihren Herrn blutig in ihren 
5chooß fallen sehe, warnete ihn derohalben, und bat, des- 
elben Tages nicht auszugehen. Als er aber nicht folgen 
vollte, und dennoch auf's Rath-Haus ging, ward er 
immerlich erstochen. Oeffters deuten Traeume gewiß Straff 
on GOTXT. Nicephorus berichtet, daß das Creutz Christi 
em Kayser Mauritio ein Sornzeichen gewesen, denn da er 
uf eine Seit zweytausend Kriegsgefangene um einen 
ßuelden nicht rantzioniren wollen und selbige alle der Feind 
rmordet, siehet er hierauf im Traum Christum an einem 
ohen Creutze, und daneben die gantze Schaar der erwuergeten 
Zriegsleute, welche ihn angellaget. Und als er gefraget 
vorden, ob er seine Straffe lieber in dieser oder jener Welt 
eiden wolte, er auch geantwortet: In dieser, hat er ver— 
ommen, daß er von Phoba mit seinem gantzen Geschlecht 
vürde erwuerget werden. Welches,. da es erfolget, hat er
	        
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