Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

jeit ich ein Mann bin, wäre ich ein grundreicher Mann. Ich 
arbeite jetzt noch wie vorher; den Herbst beim Dreschen muß 
ich noch immer den Ausschlag geben. 
Liebe Tochter Katarina Elisabeth, daß es dort bei Euch so 
ein gelinder Winter gewesen ist, so ist er bei uns auch gewesen. 
Ich habe diesen ganzen Winter wegen dem Futtermangel Deines 
SBruders Schafe gehütet an der Eijenbahn, nicht einen Tag bin 
ich zu Hause geblieben, ausgenommen die zwei Tage, da wir 
geschlachtet haben. und so haben sie ihn beine Furage gebostet. 
Swar habe ich mir manchen balten Fuß geholt; denn es lag 
doch auch manchmal so dünner Schnee und Keif. Und dabei 
sprangen sie links und rechts, das war ein Anzeichen, daß sie 
beine Not litten. In Ameriba wollte ich eine Herde von mehreren 
Hundert haben. Liebe Tochter, Du schreibst, ob die Kartoffeln 
noch so schlecht seien als früher; sie sind mit Anterschied, viel 
besser, zwar gibt es noch kranke darunter. Es bommt auf die 
Art Kartoffeln und auf das Land an. Wir haben 140 Säcke 
gezogen, worunter auch noch etwas branke waren. Das Weizen⸗ 
jstroh war so burz, wie wir sonst den langen Flachs hatten, und 
wenig Heu hat es gegeben wegen der langen Trockenheit. 
Aber um die Kermesse stellte sich so ein harter Frost ein, und 
burz darauf schneite es, und die Schafe bamen nach Hause, und 
wir hatten ˖ unjere Dickwurzeln noch nicht alle nach Hause, und sie 
hatten viel vom Frost gelitten, und kein Streuzeug hatten wir auch 
noch nicht. Darnach ging der Schnee wieder weg, da habe ich 
noch fünf Fuder Streuzeug gemacht bei alle den burzen Tagen, 
bei der Druselhecke über Empfershausen, und das habe ich allein 
gemacht, da bönnt Ihr denben, daß ich gewiß noch arbeite 
Seit dem 30. August bin ich nun in meinem 65. Jahre, von 
Gottes Gnaden bin ich, der ich bin, und dabei frisch und gesund. 
And Du schreibst von den langen Wintertagen wegen dem 
Schreiben, ich bin noch nicht den Sonntag zu Hause gewesen 
wegen dem Schafehüten. Und nun bomme ich auf den Gedanken 
wegen der Kirchenzeitung; es hat uns große Freude verursacht, 
daß Ihr Euch doch noch um Gott und sein Wort bebümmert. 
Bleibt auf diesem Wege und laßt Euch nicht von den Irrgeistern 
jereführen, die doch jetzt so viel auf der Welt herumschwadronieren. 
Habt immer Gott vor Augen und im Herzen ... 
Schließlich noch folgendes, daß sich ein starker Krieg ent⸗ 
wickeln bann mit Deuischland gegen Franbreich und Ilalien. 
Die Kriegsrũstungen sind jchon getroffen, alles ist einberufen.... 
Ja, Oesterreicher und Franzosen haben schon im Gefecht gestanden 
im Königreich Sardinien. Man hat es in der Seitung gelesen. 
Voch mehr wollte ich Euch wohl schreiben von diesem Kapitel, 
aber Ihr werdet es ja wohl in den Seitungen besser lesen, als 
ich es Euch auseinandersetzen bann. 
Wollte Gott, unser Schreiben träfe Euch bei so guter 
Besundheit an, wie es uns veelassen hat. 
Beherziget dieses mein Schreiben. Vielleicht bann ich Euch 
nicht mehr schreiben. Die Augen sind doch schon dunkel; es ist 
auch gar nicht schön geworden; denn die Hände sind mir so steiß 
geworden von der schweren Arbeit; zwar ohne Brill habe ich 
2s noch geschrieben. And wenn ich so an die Abschiedsstunden 
denbe, um Euch hier in dieser Weit nicht mehr wiederzusehen, 
da schauete ich hinter dem Suge her so lange, bis Euch die Ferne 
verschlang. Ja, so jedesmal tauen meine Augen mit Tränen. 
Und nun, meine geliebten Kinder, lebet wohl! Lebet so, 
daß Ihr Friede mit Gott behaltet! 
Ich bin und bleibe Euer getreuer Dater 
Heinrich Arend. 
Fertig gejchrieben am Tage der Himmelfahrt Jesu Christi.“ 
Diesem Brief ist von der Hand des Enbels erläuternd hinzu⸗ 
gefügt, daß der Großvater sein Schreiben nicht abgeschickt habe. 
Das fehlende Datum läßt sich, wenigstens auf das Jahr, errechnen. 
der Schreiber ist am 30. 8. 1794 geboren. Er hat den Brief in 
einem 65. Lebensjahre geschrieben, also nach dem 80. August 1858, 
ind wie weiter aus seinen Mitteilungen hervorgeht, im Winter 
858/59, um ihn Himmelfahrt 1859 zu beschließen. 
In diesem Briefe tritt uns ein schlichter, fleißiger und nach- 
enkblicher hessijscher Bauersmann entgegen, bibelfest und belesen, 
in ganz andrer Mensch als Herr Franz Lahmeyer in Baltimore. 
diese zwei Stimmen sind mit voller Absicht nebeneinander gestellt: 
ier die Stimme der Heimat, die in die Neue Welt ergeht, dort 
ie Stimme der Fremde, die gerne die Heimat betören möchte. 
Vo das Echte, Tüchtige und Wahre steckt, das zu entscheiden wird 
cht schwer sein. 
Udenborn, ein alter Kultort. 
VDon Amtsgerichtsrat Kabe in Borken, Bez., Cassel. 
In unseren Ortsnamen findet man häufig noch einen Anklang 
in den alten chattischen Götterglauben. Insbesondere ist es der 
ßõttervater Wodan, der in solchen Ortsbezeichnungen forflebt. 
5o ist der belannteste derartige Ort Gudensberg mit dem Odenberg, 
essen Namen unzweifelhaft mit Wodan zusammenhängt. Noch im 
Nittelalter heißt die Stadt Wudenesberg. 
Auch das Dorf Udenborn darf den Anspruch machen, seinen 
samen von einem dem Wodan geheiligten Born herzuleiten. 
Ddie am Abhang des Berges ganz in der Nähe des Ortes ent- 
pringende Quelle erscheint durchaus geeignet zu einer Kultstätte, 
nsbesondere, da man von hier aus den Mittelpunkt des alten 
hattischen Landes, Gudensberg mit Metze und der Altenburg, 
sor sich liegen sieht. 
Mit der Einführung des Christentums wandelten sich unter 
em Einflusse der Priester die alten Götter zu Spulbgestalten um. 
Man kbann aus solchen Sagen, die man sich im Volbe erzählt, 
Küchschlüsse machen auf die einstige Bedeutung solcher geheiligten 
Stätten. Wodan wird in der christlichen Seit zum wilden Jäger, 
er namentlich im Winter mit seinem Heere die Lüfte durchbraust 
ind ab und zu sich den Menschen zeigt. Diese Sage ist auch der 
ßegend von Udenborn eigen. 
So erzählt Hermann von Pfister, Sagen und Aberglauben 
ruus Hessen und Nassau, Seite 109, folgendes: 
Jagender Spub. 
Jahres 1651 kLam des Rentmeisters von Borben Landknecht, 
Johann, zubenannt der Räühling, des Weges von Cassel zurück, 
pohin er seinem Herrn etliche Kechnungen getragen. Da er hinter 
fritzlar in die Hecke neben die Kalbsburg bommt, hört er Je— 
nanden jagen und ins Horn blajen, auch viele Hunde bellen und 
hm näher bommen. 
Johann, der zu Fritzlar einen guten Rausch getrunben, schreitet 
em Jäger nach; und alsobalde streichet ein gewaltiger starker 
dirsch mit etlichen Hunden vor ihm her. Darauf Lömmt ein Mann, 
n ledernem Wambejse, mit einer Ackes, den jener für einen Simmer⸗ 
nann aus Borben ansiehet. Da er ihn nun anredet, hat der doch 
Johannen beine Rede gestanden, sondern ist eilends vorũber⸗ 
jegangen. Da kömmt ein Jäger, dem Landknechte unbebannt, 
iuf diesen zu, greifet mit einer Hand, so balt wie Eis, dem Rühling 
on der Stirne durch den Bart herab, sodaß der schwer erschrocken 
chnellen Ganges nach Borben läuft; der er sich dann alsogleich, 
veil es schon spät nachts geworden, zu Bette leget. 
Am Morgen aber sah jedermann, wie die Jägersfinger ũbers 
janze Gesichte rote Striche gegriffen hatten; und wo die Finger 
urch den Bart gegangen, war es glatt und nicht ein Härlein zu 
chauen; ist auch keines wieder daselbst gewachsen. Der Rühling 
iber war ein recht Weltkind, so nach niemanden frug; und starb 
iber etliche Jahre danach. 
v⸗ 4 9⸗ 
Dom Büchertische der Heimat. 
Um den Heimathof. Novelle von Paul Berglar⸗Schröer. 
1926. Verlag Am Kamin,“ Varel i. G. 
Wenn der Autor dieser Erzählung sein Werb bescheidentlich 
als Novelle bezeichnet, so unterschäht er seine eigene Arbeit, die 
inhaltlich und mithin ihrer gangen Anlage nach der Form' des 
Komans zugewandt ist. Daß sie dieser Wendung jfeibst Grenzen 
gesetzt hat, gereicht ihr freilich zum Vorteil, denn auf die Weise 
Lommt das Geschehen der nun unvermeidlichen Konzentration 
zufolge mit besonderer Kraft zum NRusdruck. Es handelt sich dabei 
um den Kampf zwischen der landfressenden Montan Indusirie und 
dem bodenstandigen Sauerntum, das zum Teil der Lockung des 
Boldes unlerliege zum Teil schärfsten Widerstand leistet. Neben 
ziejem zeitlichen und allgemeinen Problem, das in knappen, aber 
inprägsamen Bildern sich entrollt, wird, zumal im Schichsal des 
ßeneraldirettors, das überzeitliche und besondere Problem des 
nnenmenschlichen Bejsessenseins durch wirtschaftliche Herrschafts— 
elũste, durch den Rausch der Arbeifsmacht, behandelt, das aller— 
ings gerade für die Gegenwart höchst charabteristisch ist. Die 
iebe, die sich zwischen der Tochter des Industriekapitäns und dem 
eeiheitsstolzen Bauernfũhrer anspinnt, auf der einen, und das 
krlebnis eines großstädtischen Aufruhrs auf der anderen Seite, 
icht zuleßzt aber auch die — vorübergehende — Trennung von 
einer sich vernachläjsigt fühlenden Frau bringen den Starrsinn des 
zechenbesißers zur Auflõsung, jodaß ein alle Teile befriedigender
	        
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