Leistung, wächst bei Vesper aus gemeinsamem Boden, aus
dem lebendigen, wiewohl oftmals unbewußten Gefühl einer
geistigen Tradition, eines bewußt deutschen Schöpfertums.
In ihm fließt das Blut derer, denen er als Herausgeber
gedient hat, der großen deutschen Epiber und Lyriker zumal,
her Balliadensänger und Pjalmisten, sein Geist ist verwandt
nit ihrem Geist, und so wirben seine eigenen Gedichte bei
iller formalen Selbständigkeit doch wie das Glied einer
Aingenden Kette, an der sich das deutsche Volk durch die
Jahrhunderte leitlen läßt — einer zarten Kette freilich, die
⸗8, wie die Spinne ihren Faden, aus sich selbst gewinnt.
WVärme des Gefühls und Wohllaut des Wortes dürfen als
die wichtigsten Merkmale von VDespers Lyrik angesehen
verden, zu denen als drittes noch eine männliche Lebens
bejahung hinzukommt, vermöge deren seinen Versbüchern
rine schier unverwüstliche An-
ziehungskraft eignet. Aber es
lieb nicht bei VDersen. Will
HDesper hat sich in mehreren
Verken auch als ein Erzähler
o»on Rang erwiesen, und wenn
es auch nicht zu leugnen ist, daß
er es dabei zu einer sprachlichen
ODirtuosität gebracht hat, die zu—
weilen vorherrscht, so ist doch
andererseits nicht zu verbennen,
daß auch seine Prosa an hervor⸗
ragendem Vorbild sich geschult
hat, daß ihre Eigenart zumindest
bon der Beschäftigung mit den
deutschen Sprachmeistern der Ver⸗
gangenheit wesentlich mitbestimmt
vorden ist. Daß diese Bezeich-
aung alles andere als Abhängig-
reit bedeutet, daß sie in beinem
Falle zu sprachlichen Anachronis-
men führt, sei immerhin gesagt,
obwohl der Ton, in welchem
Oesper, sei es als Lyriber, sei
28 als Erzähler, spricht, Leinen
Zweijel darüber läßt, daß da ein
Dichter aus eigener Fülle schöpft
und in eigenem Sinne gestaltet,
ohne anderer Mittel als eben
dieser zu bedürfen, um zu sein.
was er ist.
Als ein ganz Eigener auch, der verhältnismäßig spät zu
der ihm gebührenden öffentlichen Geltung gekommen üst,
ꝛagt der Niederhesse Hans Grimm (1815) unter den
EFrzählern der Gegenwart hervor. Grimm, übrigens nicht
näher mit der Familie der bebannten Literar- und Sprach-
Hijtoriber verwandt, ist der Kolonialdeutsche, der dem deutschen
Holbe das bedeutet, was etwa Rudyard Kipling den
Engländern, Pierre Loti den Franzosen, Jürgen Jürgensen
den Dänen ist. Grimm hat als erster die südafrikanische
Welt dichterisch erschlossen, und zwar von Anfang an mit
der Kraft einer als vollklommen anzusprechenden Keife des
Erlebens wie der Gestaltung. Mit dieser geistesgeschichtlich
bedeutenden Tat rückte er sogleich in die erste Keihe nich!
nur der zeitgenössijschen, sondern der deutschen Erzähler
schlechthin. Denn das Heroische, das den von ihm bevor⸗
zugten Schicksalen eignet, fsindet in der streng sachlichen,
geradezu komprimierenden, das Wesentliche herausfilternden
Art seiner Darstellung einen Ausdruck von solcher Gemäß-
heit, daß die elementaren Gewalten, die das afribanischoe
Leben beherrschen, in einer Sprache von manchmal beinahe
iblischer Wucht sich dem europäischen Empfinden offenbaren.
50 ist Hans Grimm in seinen südafrikanischen Dichtungen
uuch zum Anwalt jenes Anspruchs geworden, den das
Deutschtum mit Kecht auf außereuropäischen Besitz geltend
nacht. So extensiv, wie Grimm in stofflicher Beziehung
xscheint, so intensiv wirkt im selben Betracht Nibolaus
5chwarzkopf (1887), der rheinhessijche Erzähler. In ihm
st etwas von den deutschen Mystikern lebendig geworden,
ine fruchtbare, herzhaft bezwingende Mischung von christ⸗
ichem Sinnen und deutschem Empfinden, die denn auch leicht
u legendären Gestaltungen führt. Aber Schwarzkopf gehört
eineswegs zu denen, die aus Schwäche dem Kult ver—
jangener Fühl-Art huldigen. Nein, es ist vielmehr gerade
ein starkes Wissen um die geistigen Nöte der Gegenwart,
was diesen innerlich reichen und
frohgemuten Dichter veranlaßt,
in seinem Schaffen Gemütswerte
wieder aufleben zu lassen, die in
besseren Lebenszeiten des deut⸗
schen Volbes eine wohltätige
Geltung besessen haben. Das
geschieht natürlich kaum bewußt.
Herzhaftigkeit des Eelebens, Kraft
des Schauens, Wille zur Form
sind für Schwarzkopf Daseins-
Elemente, und indem sie sich
auswirken, indem er schafft, sein
Wesen der Seit entgegensetzt,
knüpft er an alte Ideale wieder
an, deren Verlust ja die Ent—
artung neuzeitlichen Menjchentums
erst mit heraufbeschworen hat.
Kheinhesse wie Schwarzkopf,
diesem jedoch in geistiger Be—
ziehung durchaus entgegengesetzt,
ist Karl Neurath (1888), ein
Dichter, dem, aller leidenschaft⸗
lichen, jegliche Lebensenge spren⸗
genden Wesensart unerachtet, eine
—VV
gesprochenes Stammesbewußtsein
eignet, daß er, als literarisches
Debut, vor zwei Jahrzehnten
den damals natürlich zur Erfolg-
losigkeit verurteilten Versuch ge⸗
vagt hat, in einer Seitschrift die geistige Jugend Hessens
u einer inneren Gemeinschaft zusammenzubringen. Der
fehlichlag dieses Unternehmens hat seiner hessischen Ein—
eliung keinen Abbruch getan. Wie sehr ihm die Heimat
Zestandteil des eigenen Daseins ist, lasjsen seine Komane
rbennen, in denen meisterhafte Schilderungen der rhein—
ʒessijchen Landschaft enthalten sind. Auch der Gegenstand
ieser Romane ist zunächst heimatlich gebunden: einmal ist
s der Verfall einer Familie unker dem Druck neuer Seit-
erhältnisse, das andere Mal der (noch heute unentschiedene)
Zampf zwischen großdeutscher und bleindeutscher Gesinnung,
er durch partikularistische und imperialistische Tendenzen
inheilvoll verfärbt wird. In jedem Falle aber wächst das
ßeschehen und seine Darstellung über die lobale Szenerie
asch hinaus ins Allgemeine des Menschseins, in die Weite
der Welt, wie denn auch die Gestalten in einer Plastib
rscheinen, der das heimatliche Kostüm nicht, wie in den
pezifijchen Heĩmatgeschichten, als etwas Besonderes ansteht,
ondeen als ein natürliches Attribut. über das weiter kbein