Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Leistung, wächst bei Vesper aus gemeinsamem Boden, aus 
dem lebendigen, wiewohl oftmals unbewußten Gefühl einer 
geistigen Tradition, eines bewußt deutschen Schöpfertums. 
In ihm fließt das Blut derer, denen er als Herausgeber 
gedient hat, der großen deutschen Epiber und Lyriker zumal, 
her Balliadensänger und Pjalmisten, sein Geist ist verwandt 
nit ihrem Geist, und so wirben seine eigenen Gedichte bei 
iller formalen Selbständigkeit doch wie das Glied einer 
Aingenden Kette, an der sich das deutsche Volk durch die 
Jahrhunderte leitlen läßt — einer zarten Kette freilich, die 
⸗8, wie die Spinne ihren Faden, aus sich selbst gewinnt. 
WVärme des Gefühls und Wohllaut des Wortes dürfen als 
die wichtigsten Merkmale von VDespers Lyrik angesehen 
verden, zu denen als drittes noch eine männliche Lebens 
bejahung hinzukommt, vermöge deren seinen Versbüchern 
rine schier unverwüstliche An- 
ziehungskraft eignet. Aber es 
lieb nicht bei VDersen. Will 
HDesper hat sich in mehreren 
Verken auch als ein Erzähler 
o»on Rang erwiesen, und wenn 
es auch nicht zu leugnen ist, daß 
er es dabei zu einer sprachlichen 
ODirtuosität gebracht hat, die zu— 
weilen vorherrscht, so ist doch 
andererseits nicht zu verbennen, 
daß auch seine Prosa an hervor⸗ 
ragendem Vorbild sich geschult 
hat, daß ihre Eigenart zumindest 
bon der Beschäftigung mit den 
deutschen Sprachmeistern der Ver⸗ 
gangenheit wesentlich mitbestimmt 
vorden ist. Daß diese Bezeich- 
aung alles andere als Abhängig- 
reit bedeutet, daß sie in beinem 
Falle zu sprachlichen Anachronis- 
men führt, sei immerhin gesagt, 
obwohl der Ton, in welchem 
Oesper, sei es als Lyriber, sei 
28 als Erzähler, spricht, Leinen 
Zweijel darüber läßt, daß da ein 
Dichter aus eigener Fülle schöpft 
und in eigenem Sinne gestaltet, 
ohne anderer Mittel als eben 
dieser zu bedürfen, um zu sein. 
was er ist. 
Als ein ganz Eigener auch, der verhältnismäßig spät zu 
der ihm gebührenden öffentlichen Geltung gekommen üst, 
ꝛagt der Niederhesse Hans Grimm (1815) unter den 
EFrzählern der Gegenwart hervor. Grimm, übrigens nicht 
näher mit der Familie der bebannten Literar- und Sprach- 
Hijtoriber verwandt, ist der Kolonialdeutsche, der dem deutschen 
Holbe das bedeutet, was etwa Rudyard Kipling den 
Engländern, Pierre Loti den Franzosen, Jürgen Jürgensen 
den Dänen ist. Grimm hat als erster die südafrikanische 
Welt dichterisch erschlossen, und zwar von Anfang an mit 
der Kraft einer als vollklommen anzusprechenden Keife des 
Erlebens wie der Gestaltung. Mit dieser geistesgeschichtlich 
bedeutenden Tat rückte er sogleich in die erste Keihe nich! 
nur der zeitgenössijschen, sondern der deutschen Erzähler 
schlechthin. Denn das Heroische, das den von ihm bevor⸗ 
zugten Schicksalen eignet, fsindet in der streng sachlichen, 
geradezu komprimierenden, das Wesentliche herausfilternden 
Art seiner Darstellung einen Ausdruck von solcher Gemäß- 
heit, daß die elementaren Gewalten, die das afribanischoe 
Leben beherrschen, in einer Sprache von manchmal beinahe 
iblischer Wucht sich dem europäischen Empfinden offenbaren. 
50 ist Hans Grimm in seinen südafrikanischen Dichtungen 
uuch zum Anwalt jenes Anspruchs geworden, den das 
Deutschtum mit Kecht auf außereuropäischen Besitz geltend 
nacht. So extensiv, wie Grimm in stofflicher Beziehung 
xscheint, so intensiv wirkt im selben Betracht Nibolaus 
5chwarzkopf (1887), der rheinhessijche Erzähler. In ihm 
st etwas von den deutschen Mystikern lebendig geworden, 
ine fruchtbare, herzhaft bezwingende Mischung von christ⸗ 
ichem Sinnen und deutschem Empfinden, die denn auch leicht 
u legendären Gestaltungen führt. Aber Schwarzkopf gehört 
eineswegs zu denen, die aus Schwäche dem Kult ver— 
jangener Fühl-Art huldigen. Nein, es ist vielmehr gerade 
ein starkes Wissen um die geistigen Nöte der Gegenwart, 
was diesen innerlich reichen und 
frohgemuten Dichter veranlaßt, 
in seinem Schaffen Gemütswerte 
wieder aufleben zu lassen, die in 
besseren Lebenszeiten des deut⸗ 
schen Volbes eine wohltätige 
Geltung besessen haben. Das 
geschieht natürlich kaum bewußt. 
Herzhaftigkeit des Eelebens, Kraft 
des Schauens, Wille zur Form 
sind für Schwarzkopf Daseins- 
Elemente, und indem sie sich 
auswirken, indem er schafft, sein 
Wesen der Seit entgegensetzt, 
knüpft er an alte Ideale wieder 
an, deren Verlust ja die Ent— 
artung neuzeitlichen Menjchentums 
erst mit heraufbeschworen hat. 
Kheinhesse wie Schwarzkopf, 
diesem jedoch in geistiger Be— 
ziehung durchaus entgegengesetzt, 
ist Karl Neurath (1888), ein 
Dichter, dem, aller leidenschaft⸗ 
lichen, jegliche Lebensenge spren⸗ 
genden Wesensart unerachtet, eine 
—VV 
gesprochenes Stammesbewußtsein 
eignet, daß er, als literarisches 
Debut, vor zwei Jahrzehnten 
den damals natürlich zur Erfolg- 
losigkeit verurteilten Versuch ge⸗ 
vagt hat, in einer Seitschrift die geistige Jugend Hessens 
u einer inneren Gemeinschaft zusammenzubringen. Der 
fehlichlag dieses Unternehmens hat seiner hessischen Ein— 
eliung keinen Abbruch getan. Wie sehr ihm die Heimat 
Zestandteil des eigenen Daseins ist, lasjsen seine Komane 
rbennen, in denen meisterhafte Schilderungen der rhein— 
ʒessijchen Landschaft enthalten sind. Auch der Gegenstand 
ieser Romane ist zunächst heimatlich gebunden: einmal ist 
s der Verfall einer Familie unker dem Druck neuer Seit- 
erhältnisse, das andere Mal der (noch heute unentschiedene) 
Zampf zwischen großdeutscher und bleindeutscher Gesinnung, 
er durch partikularistische und imperialistische Tendenzen 
inheilvoll verfärbt wird. In jedem Falle aber wächst das 
ßeschehen und seine Darstellung über die lobale Szenerie 
asch hinaus ins Allgemeine des Menschseins, in die Weite 
der Welt, wie denn auch die Gestalten in einer Plastib 
rscheinen, der das heimatliche Kostüm nicht, wie in den 
pezifijchen Heĩmatgeschichten, als etwas Besonderes ansteht, 
ondeen als ein natürliches Attribut. über das weiter kbein
	        
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