eimat· Schollen
Blätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
Nr.8, 1026
Erscheinungsweije Amal monatlich. Bezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr. Frũhere
Jahrqändge bönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-⸗Derlag nachbezogen werden 6. Jahrgang
Junghejsische Dichtung.
Aus: „Heutige deutsche Dichtung in Hessen“ von Will Scheller.
Sofern im literarischen Leben der deutschen Gegenwart
on einem jungen Deutschland geredet werden darf, ist es
allenfalls dadurch gebennzeichnet, daß seine Kepräsentanten
iner schöpferischen Vereinsamung wenn nicht huldigen, so
doch hingegeben sind, einer Besonderung, die das etwa
Hemeinsame, das spezifisch Seitgenössische sowohl wie das
Stammesmäßige auf der einen und das Künstlerische auf
der anderen Seite, beinahe völlig verdeckt. Es ist sonach
bon ihnen immer nur im Einzelfall zu reden; das Kultur—
chickjal hat lebendige Annäherungen hier noch nicht er—
möglicht. Nur eine äußerliche Ordnung scheint vorderhand
gestattet. Das gilt auch von Hessen.
Auf seinem Stammschloß im Werratal, fernab dem großen
Weltgetriebe, haust Karl Graf von Berlepsch (1882)
und fügt mit seinem dichterijchen Tun uraltem Namen neue
Ehre zu; was Börries Freiherr von Münchhausen dem
niedersächsischen, das bedeutet Karl von Berlepsch dem
hessischen Volbskreis. Aus den Kräften eines männlichen
Selbstbewußtjeins, eines eindringlichen Naturerlebens, einer
nnigen und bultivierten Beziehung von Mensch zu Mensch,
wächst seine Welt, in lyrischen Gedichten und Balladen
pielfältig gejpiegelt. empor zu einem grünumrankten Bau—-
verk von schöner Prägung und festem, leuchtendem Gefüge.
Zwischen Heimat und Vaterland, Weib und webender
Welt schweifen die Stimmungen hin und her, die in Karls
on Berlepsch dichterischem Schaffen eine von wildem
Vortgetös urferne, geiäuterte Formung zu finden pflegen.
Velche Wallungen auch immer das Gemüt des Vichkers
erfahren mag: indem sie durch seinen herrschenden und
eherrschten Geist zur Außerung hindurchgehen. woerden sie
u Gebilden einer Kunst, die über den persönlichen Wert
hres Gehaltes zu allgemeiner Bedeutung. zu einem Sinn
ür alle Menschen sich erhebt.
Ein neuer Name, der die Anwartschaft auf guten Klang
m deutschen Geistesleben in bemerbenswerter Weise geltend
nacht, ist der des nordhessischen Lyrikers Otto Slüse (1808),
er in seinen Gedichten Gottsuchertum, Naturempfinden und
ꝛiebeserlebnis auf ebenso gefühlstiefe wie Lunstbewußte Weise
um Ausdruchk bringt. So jung, wie er ist, offenbart er
leichwohl in seinen Versen eine Keife, die das Keflexions-
näßige und jubjebtiv Gefühlhafte, das sonst einer jugendlichen
ind zumal einer gedanblich eingestellten Poesie zu eignen
flegt, nurmehr gelegentlich merben läßt. Er hat in der Tat
ücht nur einzelne Wortverbindungen geschaffen, die in ihrer
zchönheit ein starkes dichterisches Talent verraten, sondern
ahlreiche Gedichte von so tadelloser Haltung und so hallendem
Vohllaut, daß hier ohne jede Übertreibung von einem höchst
egrüßenswerten Suwachs der deutschen Lyrik gesprochen
verden darf.
VDon seiten des Daters wie der Mutter alten hessischen
zejchlechtern entstammend, kann Will Vesper (1882),
bwohl weder in Hessen geboren noch daselbst lebend, im
Zahmen einer Susammenstellung hessischer Dichtung nicht
bergangen werden. Vesper hat seinen in der zeitgenössischen
diteratur so Llangvollen Namen zuerst durch vermittelnde
kätigkeit begründet; seine lyrischen „Ernte“ Bücher vor
llem haben früher von ihm reden gemacht als das eigene,
angsam sich entfaltende Schaffen, das aber nun um so
cherer dasteht im schwanbenden Gektriebe der öffentlichen
Meinung. Beéeides aber. die vermittelnde wie die gestaltende