Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

eimat · Schollen 
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst 
⸗ 
— V 
Erscheinungsweise 2mal monatlich. Sezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr. Frũhere! A 
Jahrgänge bönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-Derlag nachbezogen werden 6. Jahrgang 
Der Echwiß 0 Von Conrad Günther. 
„Drei Stuben hat jeder, zwei bennt er, in einer wohnt 
er — bis eines Tages alle Türen aufgetan sind, daß er 
aus einer in die andere treten kLann. Da möcht manch einer 
dann manches Stück loswerden von dem Hausrat, den er 
jelbst geschafft, aber nun muß er damit weiterhausen.“ — 
Als der greise Berninger so sprach, waren seine Augen 
mit der merkwürdig helien, gelbgrauen Iris voll auf mich 
gerichtet, doch ihr Blick war so ausdrucksleer starr, ais sähe 
er mich gar nicht oder schaue mitten durch mich hindurch. 
Jetzt wies seine knochige Hand, auf der die Adern dicke 
Schnüre bildeten, hinüber zur Kastenuhr, deren Pendelschlag 
gleichförmig aus der Simmerecke hallte. — „Sa nagt sie 
dran, Tag und Nacht, hilft nichts, was sie abschroket, wächst 
drüben wieder nach, da ist kein Durchkommen. Ihr seht 
im Traum wohl mal durch's Schlüsselloch, nüũtzt euch auch 
nichts, weil euer waches Gesicht blöd ist wie beim Maul⸗ 
wurf. Es hat Menschen gegeben, die blickten hinüber durch 
einen Spalt; wenn sie redeten, haben Köonige und Võlker 
gezittert, wie Saul vor dem Weib von Endor, von der im 
Buch Samuelis steht: sie hatte einen Wahrsagegeist.“ 
Nun erst verstand ich ihn: Vergangenheit, Gegenwart, 
Zubunft. Ja, unser Leben lang rüttein wir an der ver— 
eiegelten Tür. hinter der das Kommende verborgen liegt, 
und vom VDater Beerninger, der im Dorf „Echwiß“ hiep, 
ging die Kede, daß er den Schlühsel hättke. BSei meinem 
Vetter hatte er einmal vorgesprochen, ob der ihm seine Wiese 
berpachten wollte. Die Wiese gehörte aber dem Vater. 
Ob er sie nach dessen Tode kriegen solle? Jal — na, da 
omme ich morgen wieder. Anderen Tags fuhr der 
Dater aus dem Hof, der Gaul scheute, ging durch, und mein 
Onkbel stürzte das Genick ab. — Daran nudte ich denken, 
vie ich dem Alten gegenübersaß, während die Dämmerung 
ins immer dichter einhüllte, bis ich kaum noch sein gelbliches 
Hesicht schimmern sah und sein strähniges weißgelbes Haar 
erbennen bonnte, das ihm bis auf den Kockbragen herab— 
»ing, aus der Stirne zurückgehalten durch einen gebogenen 
Hornkamm. Mir war seltsjam beblommen. Aus den kiefen 
Schatten drängte es gegen mich an, unheimlich und drohend, 
»as Herz hämmerte laut, und das Blut sang mir in den 
Hhren — bis die Tranfunzel brannte und das frisch 
jeschürte Feuer wieder hell aufknisterte, da erst ging der Alp 
»on mir. Was mich eben noch schreckte und ängstigte, da— 
iach konnte ich ihn ruhig fragen, nach meiner Subunft. 
Doch der Echwiß zuchte die Schultern in ungeduldiger Ab- 
vehr: „Ich seh nicht, wenn man mich fragt! und was weiß 
cch von der Sukunft? ich hör' nur, wenn der kbommt, der 
die Türen aufmacht — und für dich noch nichts. Gelt, 
Sreif?!“ Der Hund hob ein wenig den zottigen Kopf von 
den Pfoten und kbehrte mit der RKute blopfend den Dielen- 
and. „Fragst du den Hund, ob er zustimmt?“ — „Warum 
nicht? — von seinem Großvater hab' ich's, das, was ihr 
das andere Gesicht nennt. Tajo, seine Mutter, gehörte dem 
ilten Baron und Hirschmann auch, der sollte sein Dater 
verden, aber da ließ sie sich mit der bösen geströmten Dogge 
ein, die der Metzger mit auf's Gut hinaus brachte, und als 
ie warf, waren's zwei Teufel von Banberten, wurden scharf 
vie Gift und wild wie Grauhunde. Den einen nahm richtig 
er Stier auf die Hörner, wie sie ihn in der Koppel hetzten, 
en Hasso schenbten sie mir, weil er ihnen die Truthühner 
otbiß. Von da ab schlugen die Heiden einen großen Bogen 
im mein Haus, und Fuchs und Ratz machten anderswo 
Besuch. Dann. eines Winternachts. da winselt er und scharrt
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.