eimat · Schollen
Slätter zur Pflege hessischer Art. Geschichte und Heimatkunst
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Erscheinungsweise 2mal monatlich. Sezugspreis 1,20 Mb. im Vierteljahr. Frũhere! A
Jahrgänge bönnen, soweit noch vorrätig, vom Heimatschollen-Derlag nachbezogen werden 6. Jahrgang
Der Echwiß 0 Von Conrad Günther.
„Drei Stuben hat jeder, zwei bennt er, in einer wohnt
er — bis eines Tages alle Türen aufgetan sind, daß er
aus einer in die andere treten kLann. Da möcht manch einer
dann manches Stück loswerden von dem Hausrat, den er
jelbst geschafft, aber nun muß er damit weiterhausen.“ —
Als der greise Berninger so sprach, waren seine Augen
mit der merkwürdig helien, gelbgrauen Iris voll auf mich
gerichtet, doch ihr Blick war so ausdrucksleer starr, ais sähe
er mich gar nicht oder schaue mitten durch mich hindurch.
Jetzt wies seine knochige Hand, auf der die Adern dicke
Schnüre bildeten, hinüber zur Kastenuhr, deren Pendelschlag
gleichförmig aus der Simmerecke hallte. — „Sa nagt sie
dran, Tag und Nacht, hilft nichts, was sie abschroket, wächst
drüben wieder nach, da ist kein Durchkommen. Ihr seht
im Traum wohl mal durch's Schlüsselloch, nüũtzt euch auch
nichts, weil euer waches Gesicht blöd ist wie beim Maul⸗
wurf. Es hat Menschen gegeben, die blickten hinüber durch
einen Spalt; wenn sie redeten, haben Köonige und Võlker
gezittert, wie Saul vor dem Weib von Endor, von der im
Buch Samuelis steht: sie hatte einen Wahrsagegeist.“
Nun erst verstand ich ihn: Vergangenheit, Gegenwart,
Zubunft. Ja, unser Leben lang rüttein wir an der ver—
eiegelten Tür. hinter der das Kommende verborgen liegt,
und vom VDater Beerninger, der im Dorf „Echwiß“ hiep,
ging die Kede, daß er den Schlühsel hättke. BSei meinem
Vetter hatte er einmal vorgesprochen, ob der ihm seine Wiese
berpachten wollte. Die Wiese gehörte aber dem Vater.
Ob er sie nach dessen Tode kriegen solle? Jal — na, da
omme ich morgen wieder. Anderen Tags fuhr der
Dater aus dem Hof, der Gaul scheute, ging durch, und mein
Onkbel stürzte das Genick ab. — Daran nudte ich denken,
vie ich dem Alten gegenübersaß, während die Dämmerung
ins immer dichter einhüllte, bis ich kaum noch sein gelbliches
Hesicht schimmern sah und sein strähniges weißgelbes Haar
erbennen bonnte, das ihm bis auf den Kockbragen herab—
»ing, aus der Stirne zurückgehalten durch einen gebogenen
Hornkamm. Mir war seltsjam beblommen. Aus den kiefen
Schatten drängte es gegen mich an, unheimlich und drohend,
»as Herz hämmerte laut, und das Blut sang mir in den
Hhren — bis die Tranfunzel brannte und das frisch
jeschürte Feuer wieder hell aufknisterte, da erst ging der Alp
»on mir. Was mich eben noch schreckte und ängstigte, da—
iach konnte ich ihn ruhig fragen, nach meiner Subunft.
Doch der Echwiß zuchte die Schultern in ungeduldiger Ab-
vehr: „Ich seh nicht, wenn man mich fragt! und was weiß
cch von der Sukunft? ich hör' nur, wenn der kbommt, der
die Türen aufmacht — und für dich noch nichts. Gelt,
Sreif?!“ Der Hund hob ein wenig den zottigen Kopf von
den Pfoten und kbehrte mit der RKute blopfend den Dielen-
and. „Fragst du den Hund, ob er zustimmt?“ — „Warum
nicht? — von seinem Großvater hab' ich's, das, was ihr
das andere Gesicht nennt. Tajo, seine Mutter, gehörte dem
ilten Baron und Hirschmann auch, der sollte sein Dater
verden, aber da ließ sie sich mit der bösen geströmten Dogge
ein, die der Metzger mit auf's Gut hinaus brachte, und als
ie warf, waren's zwei Teufel von Banberten, wurden scharf
vie Gift und wild wie Grauhunde. Den einen nahm richtig
er Stier auf die Hörner, wie sie ihn in der Koppel hetzten,
en Hasso schenbten sie mir, weil er ihnen die Truthühner
otbiß. Von da ab schlugen die Heiden einen großen Bogen
im mein Haus, und Fuchs und Ratz machten anderswo
Besuch. Dann. eines Winternachts. da winselt er und scharrt