Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Schnurrpfeifereien. 
Der Knochen im Hals. 
Der alte Miekt in Hagendorf hatte sich von seiner Katrillies 
eine schoͤne Gerstensuppe mit ein paar Schwinneknochen drin bochen 
lassen. Die Knochen hatte der Aite vorher selber gehackt. 
Doch als sie nun die Suppe aßen, blieb ihm ein Knöchelchen im 
Hals stecken. In großter Rot rannte er über den Berg hinüber 
nach Baroldshausen zum Dobtor, der zu allem Anglũck auch noch 
auswarts war und nicht so bald zurückkommen würde. Da lief er 
zum Posthalter, den er gut kannie; „Du, ech honn en Knoche em 
Haals. V'r Dobter eß net dirheeme. Fohr mech so schweng als 
möglech noch Lollsfeld ens Kraankbehuß!“ Dem Posthaͤlter schien 
die Sache nicht ungefährlich, und er fuhr los, so schnell er bonnte. 
Kurz vor der Stadt jpürte der Patient ganz plötzlich eine Er— 
eichterung, vielleicht insolge des rumpelnden Wagens, und er meinte 
zum Fuhrmann: „Du, ech glaub', der Knoche eß nob! Nu senn 
me owwer so wiet. no wonn me öch hinfahren.“ 
„Im nassen Eckchen“ wurde ausgespannt. Der alte Miel 
estellte: „Fritz, zwee Portione Kalbebrore! One Halwes !“ 
Zraten und Beauntwein gingen ohne Beschwerden den Weg 
»rer Bestimmung. „No noch en Schoppe!“ Dann ging er ins 
egenüberliegende Krankenhaus, kLam aber gleich wieder zurũck und 
himpfte los: „Der eß wohl verreckt, der do ehwe (drũben)! Ech 
Al'n trochene Weck essel Wanne me sonst nijcht zo ver⸗ 
hriewe weiß — dann, Frih, mach du ens (uns) liwwer noch zwee 
zeffsteck serächtl“ Auch die verschwinden mit größtem Appetit. 
risch gestärkt machte er sich zum zweitenmal auf den Weg zum 
rankenhaus, um sich nun der schwierigen Operation zu unter 
ehen. „Nun lassen Sie mal sehen!“ jagte der Doktor. Der Alte 
ußte den Mund aufmachen, und der Arzt wollte eingreifen. 
das paßte dem Patienten aber schlecht. Schleunigst rũckte er noch 
inmal aus, ließ den Arzt stehen unsß bam wieder schimpfend ins 
Dirtohaus: „Der soll mech em Aermel lecken Der woell mech jo 
on owe her usnahm (ausnehmen) “ Sie tranken noch ein paur 
dalbe und fuhren dann seelenvergnũgt nach Hause. K. 
⸗⸗ — 
VDom Büchertische der Heimat. 
Karl Esselborn, Hessen⸗Darmstadt. Ein Heimatbuch. Verlag 
Friedrich Srandstetter, Seipzig. In Ganzleinen 6.50 RM. 
In der Reihe der „Heimatbücher deutscher Landjchaften“ des 
HOerlages Friedrich Sranostetter, die beide Hessen berüuͤchsichtigt, 
st „Hessen⸗Darmsiadt“ joeben erschienen. Nach der Einführung des 
Herausgebers soli es „in erster Linie den heutigen Sustand wider⸗ 
piegeln und sich mit der Vergangenheit nur insoweit befassen, als 
ꝛs erforderlich ist, um die Gegenwart zu verstehen“. Es muß von 
vornherein gejagt werden. daß das gelungen ist. Das Buch zeichnet 
das Gesicht des darmstädtijchen Hessenlandes mit sicheren Strichen. 
Dessen, Sehnsucht nach dem Vogelsberg, der Wetterau, dem 
historisch so bedeutsamen Winkel zwischen KRhein und Main, dem 
Odenwald oder nach der Bergstraͤße geht, der vertiefe sich zuvor 
in dieses echte Heimatbuch, um den rechten Gewinn der Wanderungen 
zu haben. Der erste Teil des BSuches ijst den geschichtlichen, volis⸗ 
virtjchaftlichen und prachlichen Selangen des Volkbsstaates Hessen 
m allgemeinen gewidmet. Sodann werden in ausfũhrlichen 
iterarischen, voibsaunduchen und bunstgeschitichen Seisfrãgen die 
Provinzen Starkenburg, Oberhessen und Kheinhessen gewüũrdigt. 
Fest umgrenzte Sandschaftsbilder wie „Das Junberiand⸗, Schut 
und das Schlitzerlande Das Gerauer Sande u. a. fejjeln neben 
liebevoll gezeschneten Städtebildern wie „Büdingen“, Wimpfen?“ 
u-. a. Alle Beiträge sind gewichtig und wertvoll, vielleicht 
mit Ausnahme einiger Verse, die neben den Strophen eines 
Karl Ernst Knodt und eines Karl Knodt kaum bestehen kbönnen. 
—R beeintrãchtigt das den Wert des Buches beinesfalls. Druck 
und Ausstattung sind gut. Vas Such it zu empfehlen. 
echs Romane (Ingo und Ingraban — Das Nest der Saunkönige 
Die Brũder vom deutschen Hause — Marcus König — Die 
beschwister — Aus einer Lbleinen Stadt) sind spannend und in 
jutem Deutsch erzählt und wiegen die gesammelten „Werke“ 
nanch eines modernen und modernsten Gehirnakrobaten. der sich 
ils Dichter ausgibt, zweimal auf. Aber die bũnstlerischen Quali⸗ 
ãten und den bulturhistorischen Wert der „Ahnen“, die im deutschen 
zchrifttum immer einen Ehrenplatz haben werden, zu reden. hieße 
zulen nach Athen tragen. Leide⸗ war bisher vielen Bũcher⸗ 
reunden der Wunsch nach dem Eigenbesitz des Werbes unerfülibar. 
dunmehr ist durch die KReclamsche Helios⸗Ausgabe, die in zweĩ 
andlichen Banden je drei RKomane enthalt, jedem Liebhaber eines 
hönen und guten Buches die Anschaffung ermõöglicht. Die ge⸗ 
hmackvollen Ganzleinenbãnde weisen sauberen Bruck auf holz- 
ꝛeiem Papier auf und gereichen jeder Büchereĩ zur Sierde. Einer 
esonderen Empfehlung bedũrsen „Die Ahnen“ raum; vor ihnen 
t schon mehr ais ein vielbeschrieenes modernes Buch als ephemer 
langlos im Orkus versunben, wãhrend sie jelbst und die Liebe zu 
znen sich von Geschlecht zu Geschlecht vererben. Ihrer gediegenen 
Ausstattung und des wirklich billigen Preises wegen seien Die 
Ahnen“ in der Ausgabe der Helios· Buͤcher des Verlages Reclam 
iachdrũchlichst empfohlen. 8 
Hesjenland. Illustrierte Monatsblätter für Heimatforschung, 
dunst und Literatur. 38 Jahrgang. Heft 2: Ameln, —W 
Aufenthalt F S. Bachs in Cassel im Jahre 1732 Klibansby, Dr. 
krich, Sur Kritik der kurhessischen Geschichtsschreibung; Surger, 
Christian. Am Lutherpiaß in Cassel; Schãfer, Dr. B. über 
Jaturdenbmalpflege; Neuhaus. Wilhelm, Die Spottlust der Hessen; 
deinweber, Serthold. Gasse; Mäller, Christoph, Jugenderinnerungen 
ines Casselaners II; Erbach im Odenwald; ANus Heimat und 
fremde. 
Ooll und Scholle. Heimatblätter für beide Hessen, Nassau 
ind Frankfurt am Main. I. Jahrgang, Heft 3: Köbrich, Cari, 
die Säuerlinge der Wetterau; Hundt, Gerhard, Der Eisenerz⸗ 
ergbau im Vogelsberg; Sauer, Fritz, Von Bergbau und Serg 
zuten im Niddertal; Brehm, Helene Von Wihjener und Hollentai; 
zchweter, Walter, Feriedrichssegen, Ein untergegangenes Blei— 
ind Silberbergwerk: Jacob, Sruno. Die niederbesische Sraunbohle. 
K. 
Gustav Freytag, Die Ahnen. Swei Sände in Ganzleinen 
u je 5.00 Rm. Veriag von Phil. Keclam jun., Leipzig. 
Der tũchtige und kerndeutsche Gustav Freytag führt uns in 
iner kbulturhistorijschen Romanreihe Die Ahnen“ durch die 
Hauptzeiten und auf die Hauptschauplahe der geschichtlichen Ent 
vicklung unseres Volles. Boarum jollte das Werk zum eisernen 
Sestand, jeder deuischen Hausbucherei gehören, die einigermaßen 
Anspruch auf Bedeutung erhebt. Kein Deutscher, der es als 
Jũngling begeistert gelesen, wird den tiefen Eindruch vergessen, 
ind auch als WMann dird er noch gerne danach greifen. Denn die 
Auf der Hoe 
imafwarfe. 
Ein hessischer Dichter. 
Am 1. Dpril wird Karl Adolf Schimmelpfeng in 
Sooden a. d. Werra v0 Jahre alt — einer von jenen Schreibenden. 
deren schöpferijche Kraft und Sonderget im Verborgenen sich 
entfaltet, uͤm in solcher Anversehrtheit einer vielleich reineren 
Wirkbung auf die Umwelt zu harren, als denen vergönnt zu sein 
oflegt, die den Kontart miß den Seitgenossen schon in der Fruhzeii 
hres Schaffens finden. Schimmelpfeng darf indessen nicht jo sehr 
ein verkannter als ein jpäter Dichker genannt werden Erst 
nach dem Krieg und inmuten der ihm folgenden Erschũtterungen 
—V Daseins hat er begomnen, niederzuschreiben, was 
hn bewegte; bewupt zu formen, was vordem allenfalis unbewußt 
n privaten Außerungen laut geworden sein mag. OEb nun die 
gewaltigen Erlebniße des deutschen Volbes in den leßten andert. 
alb Jahrzehnten den Dichter in Schimmelpfeng wachgerufen haben, 
der ob es in dessen Wesensart begrũndet lag, erst nach einer ver⸗ 
ãltnismãßig langen Entwicklung sich kundzutun, ist schwer zu ent⸗ 
heiden. Sicher ist, daß der Gehalt dessen, was Schimmelpfeng 
erlautbart, ebensosehr wie die Form, worin das geschieht, von 
iner sehr eigen gearieten Willensrichtung, einem höchst ursprũng⸗ 
ichen Daseinsgefuͤhl und einer ausnehmend selbstãndigen Eriebnis 
heise Seugnis geben. 
K. A. Schimmelpfeng ist im wesentlichen Lyriber; aber 
rine Stimmungsgedichte, die, wie die Beiträge des Dichters in 
mnfrer heutigen Ausgabe darlun, teils in freien, mitunter an 
Valt Whitman gemahnenden Khythmen sich aussirömen, tells in 
iner Art erzahlender Prosa prachlich fixiert werden, gehen über 
en herbömmlichen Begriff des Lyrischen hinaus. um mannigfaltige
	        
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