Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

dicht an der Grenze zum Rheinland, fragt man: „Biste dann 
ledig?“ und meint damit: „Bist Du denn fertig mit Delner 
Arbeit?“ Sei dem leßzten Beispiel fällt uns die Stelle „ledig 
Aler Pflicht“ aus Schillers Glocke ein. Und vielleicht denken 
Sie auch mal an die Worte des Pfarrers bei der Vorbereitung 
zum Abendmahl. Ich wenigstens 
habe oft die Worte gehört: 
Als ordentlich berufener Diener 
CLhristi spreche ich Euch Eurer 
Sũnden frei, ledig und los.“ Sie 
jehen, die eigentliche Bedeutung 
des Worktes „ledig“ ist „frei“. 
Nun bann eine Stelle „ledig“ 
sein, wir jagen heute „erledigt“. 
Ein lediges Roß braucht nicht 
ein solches zu sein, das frei um— 
herlãuft, es Lann auch eins ohne 
Reiter sein. Eine Frau, die ledig 
vird, hat einem Kinde das Leben 
geschenbt. Ein lediges Haus bann 
zin freistehendes, aber auch ein 
ieeres sein. Ein lediger Eimer 
und eine ledige Kiste sind frei 
pom Inhaͤlt, ein lediges BSlatt 
ist unbeschrieben und eine ledige 
Bank unbesetzt. Ledig ist nicht 
aur der, welcher frei von Strafe 
ist, jondern auch der, welcher frei von Schulden und anderen 
Herpflichtungen ist. Und endlich ist auch ledig, wer noch 
nicht die Ehebũrde auf sich geladen hat. Er ist frei von 
der Weiblichkeit und frei von der Verpflichtung, für eine 
Lebensgefährtin zu sorgen. — Ich denke, das sind Beispiele 
genug! Nun sage ich Ihnen nur noch, daß sich in der einen 
Begend die eine Schattierung (3. B. los), in der zweiten die 
andere (3. B. ledig), in der dritten die von „leer“ usßw. als 
die gebräuchlichste eingebürgert und festgesetzt hat. So kommt 
2s, daß heute das Wort „ledig“ scheinbar so verschiedene Be— 
deutungen aufzuweisen hat. Die der Umgangssprache geläufigste 
ijt die von „unverheiratet“. Hieran ist wahrscheinlich vor allem 
Luther schuld; aber auch bei Hans Sachs, Lejsing und Goethe 
kommt dieser Gebrauch häufig vor. — Mun aber auf Wiedersehen! 
Bis ein andermal! L. W. 
Gänse, Gänse, Gänse .1 
Wenn am Weihnachtsbaum die Lichter brennen und ein 
würziger Tannenduft das Simmer durchzieht, dann pflegt beĩ uns 
im lieben Hessenlande, dem Eldorado der Wulle-Gaänschen, sich 
meistens noch ein leckerer Bratengeruch dazwischen zu mischen, 
der aus der Küchentürspalte jehr zum Arger der tüchtigen Hausfrau 
hervordringt. War es sonst nur der „Pfiffi“, der mit jeiner schwarzen 
Hundeschnauze so verdächtig und genießerisch in der Luft herum- 
chnupperte. wenn irgend estwas in der Pfanne brutzelte, so schnuppert 
diesmal die ganze Familie im Vorgefühl des Festtags-Gänsebratens 
im Simmer herum, und dem bleinen Max läuft schier das Wajsser 
im Munde züsammen. Wenn dann der gebratene Vogel auf der 
großen Schuͤssel, die jonst in der hintersten Ecke des Kũchen · 
schranbes wenig benutzi ihren Platz hat, dampfend dasteht, ist erst 
die Festesfreude vollkommen. So gehört in Hessen und drüber 
inaus im lieben Vaterlande ein Gänsebraten auf den Weihnachts⸗ 
tijch. Das ist eine uralte Sitte, die sich bis auf den heutigen Tag 
erhalten hat, denn in der „Eserel“ ist der Mensch konservativ. 
Welche Sympathie der Mensch überhaupt solch einem Gãnochen 
im Topf entgegenbringt, ist erstaunlich, wenn man bedenkt, wie 
man jonst auf die „lieben“ Tiere 
schimpft. Nicht allein, daß so ein alter 
Bänjerich die bleinen — mitunter 
auch die „größeren“ — Mädchen in 
die Beine zwackt und bisweilen gar 
einen — Hofhund ersetzt, so stehen 
die weißgefiederten Mariinsvögel 
vor ihrem Kochtopftod meist aller 
Welt in den Landstädtchen und in 
den Dörfern im Wege herum. Be— 
sonders den Nutofahrern sind die 
dummen Gänse ein Greuel, und 
manche hat unter dem Benzinrad 
ichon ihr Leben lassen müssen. 
Auch vpiele Anekdoten und 
wahre Geschichten gibt es von 
Hänsen zu berichten. Der Name 
Martinsgans entstand, weil der hei— 
lige Martin, der zum Bischof be— 
timmt worden war, sich in einem 
Bänjestall versteckt haben soll. Der 
Sextaner lernt schon, daß durch das 
Seschnatter der Gänse, die in Rom heilig waren, das Kapitol 
»or UÜberfall und Vernichtung gerettet wurde. Wahr dagegen 
st, daß nämlich unsere Butterfrau strahlend erzählte, ihre „Stamm. 
jans“ habe das 40. Ei gelegt. Wenn die Ganse so scharenweis 
n Berlin herumlaufen wũrden, wie oben in Grebenstein, wie unser 
Bild zeigt, jo wäre man in der Geistesmetropole sicher schon auf 
en genialen Gedanken gebommen, ein Wettlegen zu veranstalten, 
pobei die Gans unserer Butterfrau sicher zur „Gänjsekönigin“ er⸗ 
lãrt worden wäre. Allerdings behauptete mein Freund, als wir 
angst einen Kegelausflug mit Gänsebratenessen nach einem —XC 
arten Dörfchen veranstalteten und heißhungrig über den Martins- 
»ogel herfielen, ich habe ein Gesicht gemacht, wie eine Gans, 
penns donnert,“ als ich zu meinem Entsetzen merbte, daß das 
Tierchen jo zah wie, Hosenleder“ war. Ob die änderen Mitesser geist 
eicher dreinschauten, soil nicht verraten werden, jedenfalls mußte ich 
en ganzen Abend an die Stammgans unserer Butterfrau denken. 
Doß es nebenbei bleine und große Ganschen gibt, zeigt das 
ette Bildchen aus der Schwalm, das so recht die Stimmung im 
däandchen der „Salatkirmes“ widerspiegelt. Man bönnte beinahe 
m, Sweifel darüber sein, welches Ganschen man sich einfangen 
oll. Auch in dem hessischen Maͤlerddrschen Willingshausen jcheint, 
vie in der Photographie festgehalten ist, die Gãnjeschar sehr zahlreich 
u jein. So lange die Kochtopfaspiranten noch leicht beschwingt 
ind schnatternd herumlaufen, macht man sich wenig gus dem VDieh⸗ 
eug. Anders ist es dagegen, wenn die Vögel auf dem —XE 
Wochenmarbt, ihrer Federn beraubt, zum Verkauf ausliegen, dann 
eängen sich die Hausfrauen darum. die schönste Gans zum Fest 
dem Männchen zu servieren, denn die Liebe geht bekanntlich durch 
den Wagen. Man hat wohl seinerzeit geschmunzelt, ais von 
»er Mũnchener Obtoberwiese bebannt wurde, daß dort 20 000 
dahnchen verspeist wurden. Wieviel Gänslein werden wohl zur 
Deihnachtszeit im Hesenlande in den Kochtopf wandern? — Sie 
Silder sind von Hofphotograph C. Eberth, Kassel. G.
	        
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