Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Auf dem Walsfelder Bahnhof. 
Das zweite Gespräch ũüber das Hessen-Nass. Vollbswörterbuch. 
Haben Sie sich denn mittlerweile das Wörterbuch bestellt? 
Auf Ihre Anregung schon gleich nach unserer ersten Unter⸗ 
daltungl Swel Tage später war schon ein Heft da, und vor 
durzem habe ich das zweite gebriegt. 
Haben Sie sich denn auch gehörig hinein vertleft? 
Das habe ich! Besonders habe ich mich an die Karten gemacht. 
Das wußte ich schon vorher! Auf die dürfen wir auch be— 
onders stolz sein. So etwas hat bis jetzt bein mundarfliches 
Wörterbuch 
Am meisten habe ich mich gewundert über die Karte, die einem 
die verschiedenen Wörter sür den „Boden“ zeigen. 
Ohne Sweifel ist dieje auch am lehrreichsten. Ich sagte Ihnen 
ja neulich schon einiges davon. 
Nun mũssen Sie mir aber auch verraten, wie es kommt, daß 
die Laube ein Hausboden und eine Hũtte im Garten sein bann! 
Sofort erfülle ich Ihren Wunsch. Nun hören Sie mal zul 
Venn Sie sich eine Laube im Garten ansehen, dann wird 
Ihnen auffallen, daß die Hauptsache das Dach ist. Man jeßzt 
sich doch in die Laube.' um gegen die Sonne geschützt zu sein. 
Tatsächlich ist der 
ursprũngliche Sinn 
des Wortes „Lau- 
be“ einfach Dach“. 
Nun hat es sich in 
der einen Gegend 
als Laube im Gar⸗ 
ten, d. h. als Gar⸗ 
enlaube festgejetzt, 
in der anderen als 
Laube des Hauses. 
Wãhrend sich aber 
die Laube als 
Hausdach nur in 
einem kleinen Ge⸗ 
hiete gehalten hat 
und dort schließlich 
auch den Raum 
unter dem Dach, 
den Bodenraum, 
ezeichnet, weist 
heutediemgangs 
prache das Wort 
„Laube“ nur noch 
in der Bedeutung 
„Gartenlaube“ auf. 
Wie bommt es 
aber, daß es in der 
Mundart, Läube“, 
in der Umgangs— 
jprache „Laube“ 
heißt? 
Ich jagte Ihnen neulich schon, daß wir hier dieselbe Eerscheinung 
haben wie in dem mundartlichen „sichen“ und dem schriftsprach 
lichen „uchen“. Als weiteres Beispiel führe ich an, daß die 
ZTiroler ihre Hauptstadt Innsbruck (mit ul) nennen und daß 
der Rucksack eigentlich Kück- oder Rückensack heißen mũßte. 
Hier zu Lande hört man manchmal Rocksack, als wenn der 
Kucksack etwas mit dem Rock zu tun hätte! 
Dann scheint es so, als wenn die Läube eine Eigenart Mittel- 
deutichlands sei. 
Banz recht! Und die Form „Laube“ mit dem au stammt eher 
aus dem Sũüden als aus dem Norden. 
Nun sprachen Sie neulich davon, daß Bũhne“ eigentlich, Bretter“ 
heißt! Können Sie mir darüber noch etwas sagen? 
Herne! Sie wissen, daß man hier in der Gegend noch oft das 
Wort „Nachten“* für Nächte hört, besonders bei alten Leuten. 
Sie denken dabei auch gleich an das bevorstehende, Weihnachten“. 
Dielleicht haben Sie auch schon mal Hahnen statt Hähne ge— 
hört. Gerade so gibt es neben dem Wort „Bühne“ noch 
Buhnen“ (mit ul) Und zwar bönnte ich Ihnen eine ganze 
Anzahl von Orten nennen, in denen diese Wörter die Be— 
deutung „Bretter“ haben. Es muß also einmal ein Wort 
„Buhn“ — Brett gegeben haben, wenn es auch heute offenbar 
nicht mehr vorhanden ist. 
Wie ist es aber möglich, daß „Bühne“ Hausboden und Theater⸗ 
teil bedeufen LKann? 
83 
Die Sache liegt ähnlich so wie in dem Fall „Laube“. Wie 
chon gesagt, hieß Bũhne zunächst nichts als Bretter. Nun 
lamen Bretter aber in den verschiedensten Sujammensetzungen 
or. Da gab's ein Brettergerũst für den Warktschreier, der 
eine Waren feil bot, und für die herumziehenden Schauspieler, 
a gab's ein Gestell, auf dem Verbrecher hingerichtet wurden, 
niicht zu vergessen die Empore der Kirche, die ebenfalls als 
Bühne und zwar als Porbũhne oder Orgelbũhne bezeichnet 
vpurde und auch noch wird. So bam die Bühne zu der all— 
jemeinen Bedeutung einer höher liegenden Bretterschicht, und 
es ist Lein Wunder, daß neben den genannten Bühnen noch 
Taubenbũhne für Taubenschlag, Hausbũhne für den Hausboden, 
deubũhne fũr den Heuboden, auftraten. In der Umgangssprache 
jt nun in der Folgezeit Bühne nur noch für die Theaterbühne 
jebraucht worden, während sie sich in der Mundart nur als 
Bezeichnung für den Boden hielt, soweit nicht der alte Speach⸗ 
jebrauch, d. h. Bühne — Bretter, noch anzutreffen ist. 
Anę Frage noch! Mũßte nicht „Bũhne“ als Mehrzahl behandelt 
verden 
figentlich jal Aber dann müßte man auch die Bedeutung 
Brettex“ stärkber hervortreten lassen. Tatsächlich aber denkt 
eute bei dem Wort „Bühne“ bein Mensch mehr an die Bretter, 
sondern es ist ihm 
ein einziger Be— 
griff, eine Einheit. 
So kommt es, daß 
das Wort, ob—⸗ 
80 ur prũnglich 
Mohrzahl, allmäh⸗ 
lich auch gram⸗ 
matijch zur Ein— 
zahl ũbergegangen 
ist. Solche Fälle 
ind nicht gar zu 
elten im Sprach⸗- 
eben! Sie bennen 
die Werbstatt, Sie 
dennen auch die 
Werkstätte. Bei-— 
—X 
nicht etwa ist das 
zweite Wort die 
Mehrzahll Viel-⸗ 
nehr heißt diese 
Werbkstätten“! 
Das leuchtet mir 
ein. Wissen Sie, 
heute ist mir ein 
Licht aufgegangen! 
Ich verstehe jetzt, 
warum jso eifrig die 
mundartlichen 
Wörter gesammelt 
werden. Bisher 
abe ich manchmal gedacht, diese Mundartfreunde bönnten doch 
igentlich etwas Gescheiteres tun. Jetzt weiß ich, daß Ihre 
Arbeit einen Sweck hat, ja ich sehe ein, daß Sie die Mundart 
inbedingt brauchen, um viele Fragen zu beantworten, die 
ruch den einfachen Bauer beschäftigen. 
Ddas freut mich von Herzen, und ich hoffe, daß Sie uns bei 
injrer Arbeit noch mehr als bisher unterstützen. Ja, vielleicht 
entjchließen Sie sich jogar, von nun an besonders zäh an der 
Mundart festzuhalten. 
Ich verjpreche Ihnen alles. — Noch eine Frage, ehe wir aus—⸗ 
inander gehen/ 
Nun? 
In der zweiten Lieferung, die mir vor burzem der Briefträger 
jebracht hat, befindet sich eine wunderbare Karte, die dem 
Leser zeigt, wo man in der Provinz „leer“ und wo man statt 
dessen „ledig“ jagt. Soweit ich feststellen kann, stimmt die 
Karte. Bei uns spricht man nämlich „ledig“. Nun habe ich 
neulich mal so einen Vollbszählungsbogen ausfüllen müsjen, da 
vurde danach gefragt, ob verheiratet oder „ledig“. Was haben 
die zwei „Ledig“ miteinander zu tun? 
So weit es meine Seit erlaubt, will ich Ihnen auch auf diese 
Frage noch Auskbunft geben! Vor burzem las ich, daß man in 
er Salzunger Gegend jagt: „Da ging der Spektabel ledig,“ 
). h. los. In der hohen Rhön habe ich mal gehört, wie ein 
Mädchen ihrem Vater zurief: „Die Kuh ist ledigl“ Also auch 
hier haben wir die Bedeutung Zlos“. Im Wessterwald, ganz 
& 
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