Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Beschämt und verzagt trottet am nächsten Tage der ertappte 
leine Apfeldieb neben dem Gerichtsbũttel einher, der ihn nach 
dem Gaabl bringt. Johlend zieht ein Haufen Kinder wie ein 
Kometenschweif hinterdrein. 
Sei dem Teich angekommen, drängt sich der Kreis der Su— 
schauer um den Buͤben, während der Büttel seine Vorbereitungen 
rifft. Spöttische und höhnische Keden fallen. 
Ob he wohl gaabst?“ 
„Domme Froge, natierlich gaabst he!“ 
Am lautesten sind seine Freunde vom gestrigen Abend. Der 
Junge blickt auf das Wasser des Teiches, betrachtet sich die Wippe 
und steckt eine trotzige Miene auf. 
Jetzt hat der Büttel den Korb herabgezogen, burzerhand wird 
der Sünder hineingesetzt, der Deckel wird heruntergeblappt und 
verschlosjen. —* schwenkt sich langsam der Balken mit dem 
Saab über das Wasser. 
Der Büttel ist ein Mann, der sein Geschäft versteht; er hat 
schon mehr als einen Gartenfrevler zum Gaabsen gebracht. Mit 
dräftiger Hand bewegt er den Balben der Wippe, daß der Schnur⸗ 
macherjunge hoch oben ũber dem Wasser hängt. Dabei bommt 
der Korb ins Hin- und Herschaubeln, und schmunzelnd sieht die 
Menge, wie der kleine Missekäter sich angstvoll zusammenbauert. 
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erab, zieht aber schnell wieder hoch zum Ergötzen der Suschauer. 
5o0 geht das eine Weile, bis urplötzlich der Büttel den Balken 
oslaͤßt, und von hoch oben saust der Korb mit dem laut gaabsenden 
Jungen in die Tiefe. 
Blasen steigen aus dem schäumenden Wasser auf, doch der 
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rei — vier — fünf — sechs — bis zehn, dann zieht er gemächlich 
ein Balbenende an dem daran befestigten Strick wieder herunter. 
Langsam steigt der Schandkorb mit dem prustenden und schnaubenden 
⸗ũnder wieder zutage. 
Wohl ein dutzendmal muß der Gartendieb das „Gaabsen“ 
ernen. Dann erst wird er aus dem Schandborb herausgelassen, 
uind beschämt schleicht er sich davon. 
Eine nasje Spur bezeichnete seinen Weg. Und lärmende 
Zinderstimmen sorgten dafür, daß er nicht unbemerbt bis zum 
dause des Lehrmeisters Lam. Aus manch einer zweiteiligen Tür 
ehnie ein Handwerker und schaute hinter ihm her. 
Sein Lehrmeister aber stand schon in Erwartung. Der haͤtte 
ich einen zünftigen Hanfstrick zusammengelegt, womit er ihm den 
hosenboden gerbte nach allen Regeln der Kunst, damit der Junge, 
vie der Meister grimmig sagte, beinen Schaden habe durch das 
infreiwillige Lalte Bod. 
Vom Büchertische der Heimat. 
Hans Staden, Die wahrhaftige Historia und Beschrei- 
zung einer Landschaft der wilden nacketen grimmigen 
Menñnschenfresserleuten, in der neuen Welt Amerika gelegen. 
Rach der Erstausgabe (1557), mit einer Begleitschrift von Prof. 
dr. med. et phil. Richard N. Wegner, DVerlag von Wüsten 8 Co., 
Frankfurt a. M., mit 58 Holzschniftken und 1 Karte. Preis8. — RM. 
Vor Staden haͤtte bein Deutscher, der selber als Augenzeuge 
ene fernen Länder betreten durfte und beine Nachschrift anderer 
Jab, seine Berichte der GEffentlichkeit durch die Buchdruckerpresse 
ibergeben. Der erste Teil behandelt die Abenteuer und Gefangen- 
ahme Stadens durch die Tupi, bei denen er neun Monate weilte. 
Staden gibt gleichzeitig einen interessanten Einblick in die boloniale 
Früũhgeschichte der Poriugiesen, Spanier und Franzosen. Der zweite 
Leil: Wahrhaftiger, Lurzer Bericht, Handel und Sitten der Tupin- 
mbas, besitzt ais ersie deutsche völkerkundige Schrift, der eine Keihe 
yistorisch interessanter und völlberkundlich wertvoller Holzschnitte bei⸗ 
gegeben sind, einen besonderen Wert. Bei der großen Seltenheit 
des Ardruckes kommt diese sorgfältige Fabsimileausgabe dem Wunsche 
ieler Historiker und Sibliophilen entgegen. Von den Franbkfurter 
Bucherinessen aus war dies Werb einst gegen Ende des 16. Jahr- 
underts unter der Bezeichnung „Menschenfresserbuch“ rasch berũhmt 
jeworden und in zahlreiche Sammlungen von Reisebeschreibungen 
ibernommen worden. Seine naib-lebendige Schilderung und der 
aitertümlich einfache Stil geben auch heute der Lebtüre des Fab⸗ 
imile·Druckes einen besonderen Keiz. Für den Historiker auf dem 
Hebiete der Geographie, der Entdeckungsgeschichte Amerikas und 
der Vdlkerbunde bleibt es ewig ein unentbehrliches Quellenwerb, 
das erst durch diesen Neudruck weiteren Kreisen erreichbar wird. 
Die Begleitschrift enthalt neben einer eingehenden Würdigung der 
Stellung des Werbes im Seitbilde eine sorgfältige Bibliographie 
aller Nachdrucke und aller Kommentatoren, welche ũber dieses 
Werkb ausgegeben wurden. Der Aufmachung und Ausstattung ent- 
prechend ist der Preis als sehr niedrig zu bezeichnen. 
Im Anschluß an diese Besprechung der wissenschaftlichen Aus- 
gabe sei zugleich bemerkt, daß als neuestes Heft der Hessen⸗ 
Nassauijchen Bũcherei, die dem Schũler anregenden Lejestoff ver⸗ 
nitteln will, „Hans Staden, der Brasilienfahrer“ erscheint. Die 
Umschrift besorgte der als Schriftsteller und Volkbsliedforscher 
hestens bekannte Herausgeber der Bücherei, Otto Stückrath in 
Siebrich a. Rh. Es ist zu hoffen, daß die Lehrerschaft Hessen- 
Nassaus von dem Büchiein als Lebtüre im erdbundlichen Anterricht 
jfleißig Gebrauch machen wird, zumal es in den zahlreichen Aben⸗ 
euern unseres hessischen Landsmannes zu Wasser und zu Lande 
den frischen Tatendrang unserer Knabenwelt in besonderem Maße 
zu befriedigen geeignet sein dũrfte. 
M. O. Johannes. Kreus und Leiden. Verlag Erich Matthes 
in Leipzig. 
Diese vom Verfasser „Ein Herbstbild“ genannte Novelle ist 
ganz auf inneres Geschehen gestellt, nämlich auf das schicksalhafte 
Erloͤschen eines alten Geschlechtes in seinem letzten weiblichen 
Sproß. UArsula von Schartstein hat von ihren großen Ahnen nur 
das Heldenium des Duldens geerbt. Das „Heldische“, das ihre 
Sippé einst hatte, reicht bei ihr nur noch soweit, daß sie Klarheit 
iber das Verhängnis gewinnt, das sie verschlingt. „Das Ende 
illen Tatensturms ist Dulden.“ Fast zieht sie den von ihr sympathisch 
erührten, an Leib und Seele kerngejunden Kalf in ihre abwärts- 
ãhrende Lebensbahn. Aber er reißt sich los, nicht ohne Mitgefũhl, 
och getreu seiner Lebensanschauung: „Dem Todgezeichneten ist 
s wohler, daß es dahinfahre; die zeugende Kraft Gottes ijst groß. 
Zei ihm steht es, dem AÄberlebten neue Gestalt zu geben. Der 
eine, starke, gesunde Mensch aber gehört dem lichten, schöpferischen, 
eldenhaften Leben.“ Rahssentheoretische Gedanbengänge über 
Juslese des Gesunden und Starben zur bewußten Züchtung des 
ꝛ2ldischen Menschen, ũber eine zu weckende neue Sittlichbeit des 
Ahnentums durchflechten das Ganze, ohne seinen Wert als Kunst- 
derb zu beeinträchtigen. Das ist nur möglich dank der sprachlichen 
Nittel des Dichters, der in einem sachlichen, bewußt geformten 
ind gepflegten Stil gestaltet. Naturstimmungen schwingen bald hell 
ind hoffnungsfroh, bald dumpf und blagend in das Erleben der 
wei jungen Menschen, das von Klangmotiven aus Bachs Matthäus- 
)assion getragen und gedeutet wird. Die Schönheit und Keife 
es Herbstes wird überschattet von der Keise des nahen Todes. 
der Schauplatz des Geschehens ist das untere Werratal mit seinen 
Zurgen, also die Gegend, in der sich auch das Schicksal der 
Akrainerin“ vollendet. K. 
Chronik von Brotterode. Bearbeitet von W. Bickel. Mit 
6 Bildtafeln und einem Plan von Brotterode. Herausgegeben 
on der Gemeinde Brotterode. 
Zu rechter Seit erscheint dies Buch. Brotterode, ein herr⸗ 
iches Stũck Hessens, ist ein im Ausstreben begriffener Kurort. 
diel zu wenig bebannt ist es im Verhältnis zu den vielen Schön⸗ 
eiten, die es dem Wanderer und dem Gaste bietet und zu den 
lelen Gesundungsmoͤglichbeiten, die Wald, Wintersport, Höhen⸗ 
uft und radiumhaltige Quellen ihm geben. Die mühevolle 
debensarbeit eines seine Heimat liebenden Brotteröders ist dies 
Verk. Moge es weithin wandern und allen denen die Augen 
ffnen, die gottgegebene Schönheit den Kurgärten vorziehen. Möge 
s auch ein Ansporn sein, daß noch mehr Gemeinden die Geschichte 
hres Ortes in ähnlicher Weise festhalten. Die Hessenfreunde aber 
berden durch das Buch diejes Stück Heimatscholle mehr bennen 
ind lieben lernen. 
Hessenland. Illustrierte Monatsblätter für Heimatforschung, 
dunst und Literatur. 88. Jahrgang. Heft 1: ODr. Veidemann, 
Vilhelm, Sur Geschichte der Geographie in Hessen; Dr. Schantz, 
f., Ein Kulturwerk an der hessisch-thüringischen Grenze; Heidel- 
ach, Hugo Schneider 4 (mit Sildönis); Bock, Alfred, Die gute 
Johanne; Müller, Christoph, Jugenderinnerungen eines Casselaners, 
Heimbehr, Holzschnitt von Heinrich Otto; Aus Heimat und 
remde. 
Oolk und Scholle. Heimatblätter für beide Hessen, Nassau 
ind Frankfurt a. M. 4. Jahrgang. Heft 1: Becker, Wilhelm 
Narfin, Das Staatsarchiv zu Darmstadt, Vergangenheit, Gegen- 
»art und — Sukunft?; Schwebowsky, Theodor, Reujahrswünsche 
or 100 Jahren; Sunkel Werner, Vom Käühbopf; Müller, Carl 
heinrich, Felix Mendelssohn, Frankfurt g. M. und der Cãacilien- 
Arein V; SEeitolf⸗Köth. Emma. Alt-Darmstädter Geschichten:
	        
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