Frepler nie ein zweites Mal antraf. Ja, ich merbte, wie
nir jeder, trotz meiner Milde, in Feld und Wald in großem
Bogen auswich, auch wenn er sich beines Vergehens schuldig
gemacht hatte. Mir blieb das lange Seit ein Kätsel, bis
ich eines Tags ein paar Kinder beim Ausheben eines
KRebhuhnnestes erwijchte. Sitternd gestanden sie, daß man im
Dorfe von mir erzähle, ich stehe mit dem Bösen im Bunde,
ja ich sei vielleicht der grüne Jäger selber. SZum Beweise
führten sie neben einigen erfundenen Märlein an, daß ich so
Irausam schnell und wild durch die Wälder laufe und springe
und auch das schlimmste Donnerwetter nicht zu fürchten scheine.
Das war nun freilich nicht gelogen. Mich packte oftmals
über das feiedliche Leben im Walde und zu Haus die
Ungeduld. Mein Blut heischte nach mehr Bewegung. Ich
stürmte Abhänge hinan und setzte mit Hilfe eines langen
Stabs, wie ihn die Bewohner etlicher Gegenden tragen, mit
einem kräftigen Schwunge über Gräben und Bäche. Das
mochte wohl verwunderlich anzusehen sein, war mir aber ein
Soedürfnis, da es mir wenigstens in etwas das Keiten und
das Kämpfen ersetzte. Auch der Tumult in der Natur sagte
meinem Gemüte zu. Je wilder der Sturm durch die Kronen
ging, umso wohler fühlte ich mich. Wenn die Rste anein-
ander schlugen und prasselnd niederfielen, wenn die Wurzeln
das Erdreich hoben und die Bäume stürzten, da atmete die
Srust mir freier, und als das erste Frühlingsgewitter im
Walde niederging, lauschte ich entzückt dem Krachen des
Donners und seinem vielfältigen Widerhall: ich meinte nicht
anders, als ich stünde wieder mitten in der Feldschlacht.
An solchen unruhigen Tagen kam ich müde nach Haus.
Und wenn ich zur Türe eintrat, hatte ich das Gefühl,
fremden, unrechten Lüsten nachgegangen zu sein. Daun
uchte ich schweigend die Hand meiner Frau, als ob sie mir
Schutz gewähren solle .. und konnte doch nichts sagen. Wenn
aber die wilden Gedanben garnicht abzuschütteln waren,
mied ich voll Schuldbewußtsein ihren Blick. —
An einem milden Februarabend gingen wir zusammen
m Garten auf und nieder. Plötzlich hörten wir ein starbes
Kauschen über uns und sahen in die Höhe. „Die Schnee-
gänse!“ sagte Arsula erfreut, „nun wirds baid Frühling!“
Ich aber dachte, wie frei und glücklich die Vögel sind, die
ihren Aufenthalt wählen können, wie es die Jahreszeit
erheischt, und blieb stumm. Es schien ihr aufzufallen. Sie
jah mich an und mochte wohl etwas ganz anderes in meinen
Augen lesen als Freude. Da fragte sie:,„Wendelin, woran
denkst du?“ „An das, was draußen liegt!“ antwortete ich
und streichelte ihre Hand. „Denk an das Kindl“ sagte
sie und erwiderte meinen Händedruck. Da fühlte ich mich
tief beschämt und kam mir unwürdig vor., einem unschuldigen
Kindlein Dater zu werden.
Ich sah nun Arsula mit ganz anderen Augen an, scheuer,
ehrerbietiger, und ich tat in Gedanken Abbitte. Ich wollte
aun ganz mein Sinnen auf das Kind und seine Zukunft
eichten und seiner wert sein. Aber das dauerte nicht lange.
Rachdem ein paar Wochen vergangen waren, überjiel mich,
als ich allein den Wald durchstreifte, plötzlich wieder die
alte Anrast und die Sehnsucht nach dem bunken Wechsel draußen.
Arsula erriet wohl meine Gedanken, denn wenn sie
merkte, daß ich eine Frage nicht gehört hatte, verstummte
jie plötzlich und schien traurig. Häufiger als früher sah ich
sie in heimlichem Gespräch mit ihrem Vater. Aber sie
redete nicht auf mich ein. Es war, als fühle sie langsam
die Macht, die sie über mich besaß, ihren Händen ent—
gleiten ..... und das ist vielleicht der einzige Vorwurf, den
ich ihr machen bann: daß sie so frühe an mir verzweifelte...
trüher als ich selbst
Amso überflüssiger und ungeliebter Lam ich mir vor...
An den Gedanben, daß meine Tätigkeit um Haus und
Vald müßig und nichtig sei, während draußen in der Welt
as Große ohne mich geschehe, knüpfte sich bald der andere:
Die Seit rauscht an dir vorbei wie ein Strom und wirft
eine Welle zu dir herein. Du sitzest am Afer, und wenn
eine Haare grau sind, wirst du begehren, was dahin ist,
ind du wirst merken, daß du um deine Jugend betrogen bist.“
In solch bitterer Stimmung bam ich eines Tages heim
nit dem festen Entschluß, meiner Frau zu sagen, wie sehr
ch unter dem Leben in der Stille leide und sie zu bitten:
„Geh mit mir!“ Da hörte ich, als ich in die Hauskür trat,
in feines, helles Stimmchen. Ich zog den Hut ab, eilte
n die Stube und kniete reuevoll am Bett der Mutter nieder.
And dann gingen wieder Tage und Wochen hin, und
as andächtige Staunen und die ehrfürchtige Selbstvergessjen-
eit schwanden, und es war alles wieder Gewohnheit und
Verktag. Su bestimmter Seit schrie das Kind, zu bestimmter
seit trank es, zu bestimmter Seit wachte es, und zu be—
immter Seit schlief es. Arsula ging ganz in ihren Sorgen
im das Kind auf. So war ich einsamer als zuvor, und
vieder wanderten meine Gedanken den alten Weg. —
An einem Obtobernachmittag stand ich am Gartenzaun und
lickte jehnsuchtsvoll ins Land hinaus. Da hörte ich den
hufschlag eines Pferdes. Ich beschattete meine Augen mit
er Hand; die Sonne, die überm Walde niederging, blendete
nich; aber ich erbannte leicht die Gestalt des Keiters, der
ich dem Forsthaus näherte. Es war ein Kürassierl! Ein
Kürassier auf demselben Wege, den ich vor einem Jahr ge—
ommen war! Das Herz schlug mir bis in den Hals hin—
ruf. „Gute Seit, Herr Förster!“ rief er mir entgegen;
bin ich hier recht auf dem Wege zum Grafen Heidelbach?“
sch stand erstarrt. Der Keiter war jung und braun, und
n seinen dunblen Augen blitzte das Feuer. So war ich
»amals gewesen! Damals? Vor einem Jahre nochl ...
Und jetzt? ... „Wie gehts meinem gnädigen Heren, dem
Obristen?“ fragte ich. „Er ist gesund und guten Muts und
virds dem Wallensteiner weisen, hoffe ichl!“ „Dem Wallen—
teiner? Ich denk, der Herzog legte lange schon den Ober—
efehl nieder?“ „So wißt Ihr nicht, daß er wieder auf
»em Planoe ist?“ Ein stolzes Lachen ging über sein Gesicht.
Aber gebt acht, Herr Förster, diesmal läuft uns der Eber
icht am Spieß vorbei! Vielleicht, daß Ihr in wenigen
cagen schon den Kanonendonner hören könnt!“ And er
rzählte von der Schlacht am Lech und dem Tode Tillys,
»om Einzug des Königs in München und dem Lager bei
Nürnberg, und wiederum sprach er mit froher Hoffnung von
em bevorstehenden Kampf. Mit beinem Wort verriet ich
hm, welchen besonderen Anteil ich an allem nahm. was
r berichtete.
Nachdem er seinem Pferd die Sporen gegeben hatte,
chaute ich ihm nach, bis ich die Eisen nicht mehr in der
Dämmerung blinben sah. Plötzlich stand Ursula an meiner
deite. „War mirs nicht, als hörte ich dich mit jemand
eden?“ sagte sie. „Ein Sergeant aus des Obristen Heidel-
ach Kegiment war es, mit einer Botschaft an den gnädigen
herrn!“ Sie sah mich mit großen NAugen an, dann wandte
ie sich schweigend von mir ab und wollte ins Haus gehen.
Arsulal“ rief ich. Sie bam zögernd zurück. „Arsula, ich
alte es, nicht mehr aus!“ Sie schwieg, als hätte sie mich
ncht verstanden. „Geh mit mir!“ „Nein!“ sagte sie, und
hre Stimme klang hart. „Du bist doch schon einmal mit
nir hinausgezogen, ohne den Krieg zu fürchten!“ „Ich hatte
och bein Kindl!“ „Es gibt so viele Soldatenkinder beim
droß!“ „Der Könia wird dich nicht wieder aufnehmen!“