Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

Frepler nie ein zweites Mal antraf. Ja, ich merbte, wie 
nir jeder, trotz meiner Milde, in Feld und Wald in großem 
Bogen auswich, auch wenn er sich beines Vergehens schuldig 
gemacht hatte. Mir blieb das lange Seit ein Kätsel, bis 
ich eines Tags ein paar Kinder beim Ausheben eines 
KRebhuhnnestes erwijchte. Sitternd gestanden sie, daß man im 
Dorfe von mir erzähle, ich stehe mit dem Bösen im Bunde, 
ja ich sei vielleicht der grüne Jäger selber. SZum Beweise 
führten sie neben einigen erfundenen Märlein an, daß ich so 
Irausam schnell und wild durch die Wälder laufe und springe 
und auch das schlimmste Donnerwetter nicht zu fürchten scheine. 
Das war nun freilich nicht gelogen. Mich packte oftmals 
über das feiedliche Leben im Walde und zu Haus die 
Ungeduld. Mein Blut heischte nach mehr Bewegung. Ich 
stürmte Abhänge hinan und setzte mit Hilfe eines langen 
Stabs, wie ihn die Bewohner etlicher Gegenden tragen, mit 
einem kräftigen Schwunge über Gräben und Bäche. Das 
mochte wohl verwunderlich anzusehen sein, war mir aber ein 
Soedürfnis, da es mir wenigstens in etwas das Keiten und 
das Kämpfen ersetzte. Auch der Tumult in der Natur sagte 
meinem Gemüte zu. Je wilder der Sturm durch die Kronen 
ging, umso wohler fühlte ich mich. Wenn die Rste anein- 
ander schlugen und prasselnd niederfielen, wenn die Wurzeln 
das Erdreich hoben und die Bäume stürzten, da atmete die 
Srust mir freier, und als das erste Frühlingsgewitter im 
Walde niederging, lauschte ich entzückt dem Krachen des 
Donners und seinem vielfältigen Widerhall: ich meinte nicht 
anders, als ich stünde wieder mitten in der Feldschlacht. 
An solchen unruhigen Tagen kam ich müde nach Haus. 
Und wenn ich zur Türe eintrat, hatte ich das Gefühl, 
fremden, unrechten Lüsten nachgegangen zu sein. Daun 
uchte ich schweigend die Hand meiner Frau, als ob sie mir 
Schutz gewähren solle .. und konnte doch nichts sagen. Wenn 
aber die wilden Gedanben garnicht abzuschütteln waren, 
mied ich voll Schuldbewußtsein ihren Blick. — 
An einem milden Februarabend gingen wir zusammen 
m Garten auf und nieder. Plötzlich hörten wir ein starbes 
Kauschen über uns und sahen in die Höhe. „Die Schnee- 
gänse!“ sagte Arsula erfreut, „nun wirds baid Frühling!“ 
Ich aber dachte, wie frei und glücklich die Vögel sind, die 
ihren Aufenthalt wählen können, wie es die Jahreszeit 
erheischt, und blieb stumm. Es schien ihr aufzufallen. Sie 
jah mich an und mochte wohl etwas ganz anderes in meinen 
Augen lesen als Freude. Da fragte sie:,„Wendelin, woran 
denkst du?“ „An das, was draußen liegt!“ antwortete ich 
und streichelte ihre Hand. „Denk an das Kindl“ sagte 
sie und erwiderte meinen Händedruck. Da fühlte ich mich 
tief beschämt und kam mir unwürdig vor., einem unschuldigen 
Kindlein Dater zu werden. 
Ich sah nun Arsula mit ganz anderen Augen an, scheuer, 
ehrerbietiger, und ich tat in Gedanken Abbitte. Ich wollte 
aun ganz mein Sinnen auf das Kind und seine Zukunft 
eichten und seiner wert sein. Aber das dauerte nicht lange. 
Rachdem ein paar Wochen vergangen waren, überjiel mich, 
als ich allein den Wald durchstreifte, plötzlich wieder die 
alte Anrast und die Sehnsucht nach dem bunken Wechsel draußen. 
Arsula erriet wohl meine Gedanken, denn wenn sie 
merkte, daß ich eine Frage nicht gehört hatte, verstummte 
jie plötzlich und schien traurig. Häufiger als früher sah ich 
sie in heimlichem Gespräch mit ihrem Vater. Aber sie 
redete nicht auf mich ein. Es war, als fühle sie langsam 
die Macht, die sie über mich besaß, ihren Händen ent— 
gleiten ..... und das ist vielleicht der einzige Vorwurf, den 
ich ihr machen bann: daß sie so frühe an mir verzweifelte... 
trüher als ich selbst 
Amso überflüssiger und ungeliebter Lam ich mir vor... 
An den Gedanben, daß meine Tätigkeit um Haus und 
Vald müßig und nichtig sei, während draußen in der Welt 
as Große ohne mich geschehe, knüpfte sich bald der andere: 
Die Seit rauscht an dir vorbei wie ein Strom und wirft 
eine Welle zu dir herein. Du sitzest am Afer, und wenn 
eine Haare grau sind, wirst du begehren, was dahin ist, 
ind du wirst merken, daß du um deine Jugend betrogen bist.“ 
In solch bitterer Stimmung bam ich eines Tages heim 
nit dem festen Entschluß, meiner Frau zu sagen, wie sehr 
ch unter dem Leben in der Stille leide und sie zu bitten: 
„Geh mit mir!“ Da hörte ich, als ich in die Hauskür trat, 
in feines, helles Stimmchen. Ich zog den Hut ab, eilte 
n die Stube und kniete reuevoll am Bett der Mutter nieder. 
And dann gingen wieder Tage und Wochen hin, und 
as andächtige Staunen und die ehrfürchtige Selbstvergessjen- 
eit schwanden, und es war alles wieder Gewohnheit und 
Verktag. Su bestimmter Seit schrie das Kind, zu bestimmter 
seit trank es, zu bestimmter Seit wachte es, und zu be— 
immter Seit schlief es. Arsula ging ganz in ihren Sorgen 
im das Kind auf. So war ich einsamer als zuvor, und 
vieder wanderten meine Gedanken den alten Weg. — 
An einem Obtobernachmittag stand ich am Gartenzaun und 
lickte jehnsuchtsvoll ins Land hinaus. Da hörte ich den 
hufschlag eines Pferdes. Ich beschattete meine Augen mit 
er Hand; die Sonne, die überm Walde niederging, blendete 
nich; aber ich erbannte leicht die Gestalt des Keiters, der 
ich dem Forsthaus näherte. Es war ein Kürassierl! Ein 
Kürassier auf demselben Wege, den ich vor einem Jahr ge— 
ommen war! Das Herz schlug mir bis in den Hals hin— 
ruf. „Gute Seit, Herr Förster!“ rief er mir entgegen; 
bin ich hier recht auf dem Wege zum Grafen Heidelbach?“ 
sch stand erstarrt. Der Keiter war jung und braun, und 
n seinen dunblen Augen blitzte das Feuer. So war ich 
»amals gewesen! Damals? Vor einem Jahre nochl ... 
Und jetzt? ... „Wie gehts meinem gnädigen Heren, dem 
Obristen?“ fragte ich. „Er ist gesund und guten Muts und 
virds dem Wallensteiner weisen, hoffe ichl!“ „Dem Wallen— 
teiner? Ich denk, der Herzog legte lange schon den Ober— 
efehl nieder?“ „So wißt Ihr nicht, daß er wieder auf 
»em Planoe ist?“ Ein stolzes Lachen ging über sein Gesicht. 
Aber gebt acht, Herr Förster, diesmal läuft uns der Eber 
icht am Spieß vorbei! Vielleicht, daß Ihr in wenigen 
cagen schon den Kanonendonner hören könnt!“ And er 
rzählte von der Schlacht am Lech und dem Tode Tillys, 
»om Einzug des Königs in München und dem Lager bei 
Nürnberg, und wiederum sprach er mit froher Hoffnung von 
em bevorstehenden Kampf. Mit beinem Wort verriet ich 
hm, welchen besonderen Anteil ich an allem nahm. was 
r berichtete. 
Nachdem er seinem Pferd die Sporen gegeben hatte, 
chaute ich ihm nach, bis ich die Eisen nicht mehr in der 
Dämmerung blinben sah. Plötzlich stand Ursula an meiner 
deite. „War mirs nicht, als hörte ich dich mit jemand 
eden?“ sagte sie. „Ein Sergeant aus des Obristen Heidel- 
ach Kegiment war es, mit einer Botschaft an den gnädigen 
herrn!“ Sie sah mich mit großen NAugen an, dann wandte 
ie sich schweigend von mir ab und wollte ins Haus gehen. 
Arsulal“ rief ich. Sie bam zögernd zurück. „Arsula, ich 
alte es, nicht mehr aus!“ Sie schwieg, als hätte sie mich 
ncht verstanden. „Geh mit mir!“ „Nein!“ sagte sie, und 
hre Stimme klang hart. „Du bist doch schon einmal mit 
nir hinausgezogen, ohne den Krieg zu fürchten!“ „Ich hatte 
och bein Kindl!“ „Es gibt so viele Soldatenkinder beim 
droß!“ „Der Könia wird dich nicht wieder aufnehmen!“
	        
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