Full text: Heimatschollen 1926-1928 (6. Jahrgang - 8. Jahrgang, 1926-1928)

der Waffe in der Hand dazu gezwungen?“ „Das hätte er 
nicht vermocht! Ich habe die beiden freiwillig zusammenge- 
geben, weil ich bedachte, ich Lönne es in diesen schwierigen 
und geschwinden Seiten eher vor meinem Gewissen verant— 
vorten, unter Nichtachtung landgräflicher Bestimmungen ein 
Paar zu bopulieren, denn solch unerfahrenes, junges Blut, 
vie es das Mädchen war, mit einem Keitersmann einem 
Kriegsheere folgen zu lasjen.“ Der König sah prüfend den 
Pfarrer an, dann wandte er sich plötzlich an mich: „Habt 
Ihr den Pfarrer mit der Waffe bedroht?“ „Ich habs zum 
Schein versucht, doch ließ er sich nicht im mindesten dadurch 
hestimmen.“ „Wer sind Eure Eltern, und wie seid Ihr 
Soldat geworden?“ fragte der König in milderem Ton. 
„Mein Dater war Pfarrer. Ich fand sein Haus in Trümmern 
und ihn selbst von Kroaten ermordet, als ich das Päda— 
zogium verließ. Da gab ich die Studien auf und ward 
Soldat, um meinen Dater zu rächen.“ ... Seit Jahren 
hatte mir nicht mehr der Jammer meiner damaligen Heim— 
kehr so blar vor Augen gestanden wie jetzt. Mühsam brachte 
ich die Worte heraus, seltsam heiser und fremd klang mir 
meine eigene Stimme. Ich hatte den König während meiner 
Worte nicht ansehen bönnen und wußte nicht, welchen Ein— 
deuck sie auf ihn machten. „Was habt Ihr zu Eurer Ver— 
eidigung anzuführen?“ fragte er. ‚Nichts. wenn nicht 
meine Liebel“ ... 
„Herr Obrist, wie würdet Ihr den Fall beurteilen, wenn 
er vor einen ordentlichen Gerichtshof käme? Sagt mir dar— 
über Eure Meinungl!“ Dies Wort traf mich wie ein 
Donnerschlag. Ich haͤtte immer noch gehofft, der König 
werde meine Sache, nachdem er sich einmal mit ihr befaßt, 
elber in Güte schlichten. Und nun sprach er von Gericht! Mit 
Slitzesschnelle sah ich ein Feldgericht unter freiem Himmel 
bor mir, wie ich es oft erlebt: Um einen Tisch standen in 
weitem Kreis die Soldaten des Lagers. Eine Gasse war 
irei geblieben nach dem Selt des Obristen. Langsamen 
Schrittes bamen die Richter heran, an der Spitze der Obrist 
selbst als Präsident, hinter ihm die Offiziere des Regiments 
als Beisitzer zwei und zwei und zum Beschluß der Sebrektär. 
In derselben Ordnung nahmen sie an dem langen Tische 
feierlich Plat. Der Profoß klagte mich auf Leib und Leben 
an. Dann ward ich selbst gefragt, was ich zu meiner VDer— 
teidigung zu sagen habe, und ich blieb stumm und wußte 
doch, daß es mein Leben galt.... 
Die Stimme des Obristen rief mich in die Wieblichbeit 
zurück. „Eure Majoestät möge mir gestattken, zuvor ein Wort 
iber meine Erfahrungen mit dem Kornett Hultscher zu sagen. 
Wenn der Gerichtshof seinen Spruch getan, ist es mir nach 
den Gesetzen Eurer Majestät nicht mehr verstattet, für den 
Kornett ein gutes Wort einzulegen ... bei VDerlust meiner 
Stelle. Drum möcht ich jetzo nicht verschwiegen haben: 
Der Kornett Wendelin Hultscher hat sich bis dato stets als 
rin ehrliebender und tapferer Soldat gezeigt. Weit über 
das Maß dessen, was man von einem Soldaten von Forkun 
gemeinhin erwarten kbann, hat er allzeit Eurer Majestät 
ireulich gedient, ganz unter Hintansetzung seines eigenen 
Oorteils und unter stetiger Hochhaltung seiner Keiterehre, 
dergestalt, daß auch die geborenen Kavaliers ein solch Der— 
halten sich zum Exempel nehmen können.“ Ich errötete 
über diesen Lobspruch. Der König aber unterbrach den 
Obristen, doch, wie mir schien, nicht allzu heftig: „Umso 
schlimmer, daß ihn jetzt auch der Geist der Gewallttätigkeit 
ergriffen hat! Wie soll der Fähnrich sein und das Kecht 
haben, für andere Fürbitte zu tun, der seine eigne Soldaten- 
ehre nicht eein bewahren kannl... Doch kommt zu Eurem 
Arfeil über sein Vergehen!“ Mir war. als hörte ich vor 
em Selt ein Geräusch wie von Schritten, aber die Stimme 
»es Obristen übertönte alles: 
„Er hat arg gegen die Gesetze Eurer Majoestät gefehlt, 
ind wenn ihn die ganze Schwere der angedrohten Strafen 
rifft, dann steht es schlimm um ihn. Er hat Eurer Majestät 
Ddienst durch die Verzögerung seiner Keise auf eine nach— 
ijsige und träge Art verrichtet: dafür muß er auf dem 
ölzernen Pferde und bei Wasser und Brot büßen. Doch 
hat Schlimmeres getan. Er hat seinen gesetzlichen Paß 
nißbraucht, um eigenmächtig Quartier zu machen, und hat 
in unmündiges Mädchen, das ihm der VDater zur Frau ver— 
veigert, mit List entführt: darauf steht nach Eurer Ver— 
rdnung von Anno 26 und den Sujsätzen von 31 die Todes- 
rafe. Er hat Gottes Wort verachtet, indem er eine geist- 
che Persjon durch Bedrohung zu einer gottesdienstlichen 
funktion zu nötigen suchte: auch dafür müßte er des Todes 
terben. Doch bitte ich Eure Majestät, in Gnaden zu erwägen..“ 
Ein Tumult vor dem Sellt ließ den Obristen einhalten. 
Die Leinwand wurde plötzlich stark erschüttert, als ob jemand 
—X0 
erein stürzte. .. meine Frau und warf sich dem König zu 
füßen. „Gnadel“ rief sie, „Gnade!“ Sornig wollte ihr 
dater sie emporreißen, aber der König hielt ihn durch eine 
dandbewegung zurück. „Gnadel“ wiederholte sie, „aber 
venn er sterben muß, so laßt mich mit ihm sterben! Er ist 
ücht schuldiger als ich.“ „Wenn ich meine Bitten mit denen 
er armen Frau vereinen dürfte ..“, sagte der Pfarrer. „Und 
zohr, Ihr bittet nicht?“ fragte mich der König. „Ich bin 
ereit zu erleiden, was Eure Majestät über mich beschließen 
verden.“ „Was ratet Ihr?“ wandte sich der König an 
en Obristen. „Wenn Eure MWajestät ihn aus königlicher 
Nachtvollbommenheit ohne ordentliches Gericht zum gemeinen 
Nann degradieren wollten, so wäre wohl in Ansehung der 
bwaltenden Umstände der Gerechtigkeit Genüge getan, 
ind Ihr verlört nicht einen tapferen Soldaten. Ich bin 
ewiß, er würde sich beeilen, die Scharte wieder aus— 
uwoetzen.“ „Ich weiß nicht, ob Ihr nicht allzu milde ratet, 
herr Obrist, vielleicht, daß Ihr nicht recht habt, viel⸗ 
eicht, daß ihn ein allzu schwach gesühntes DVergehen zu 
inderen reizte. Doch sei dem, wie ihm wolle. Was aber 
vird aus seiner Frau, die ihrem Dater fortgelaufen ist?“ 
„Mit Eurem gnädigen Verlaub, Majestät, die hol ich heim! 
Mir liegt nichts am Kornett, mir gehts nur darum, daß ich 
nein ungeratenes Kind wieder zu Hause habe.“ Arsula 
atte sich aufgerichtet und ängstlich von einem der Sprechenden 
um andern gesehen. Jetzt stürzte sie sich auf mich, faßte 
nich bei der Hand und rief: „Ich lasse nicht von ihm!“ 
kine ZSornesfalte wurde auf der Stirn des Königs sichtbar, 
ann glättete sie sich wieder, und lächelnd sagte er zu dem 
Obristen: „Ihr seht, Herr Obrist, Euer Kat war nicht gut. 
S‘ie ist sein Weib, ich bann sie nicht aus dem Lager peit- 
chen lassen. Aber soll ihr Vater allein kein Kecht erlangen? 
... Mein, ich bin zu einem andern Schluß gekommen: 
Vendelin Hultscher, Ihr seid nicht länger Kornett in unserm 
heere. Ihr habt Euch des Vertrauens, das wir in Euch 
etzten, nicht würdig erwiesen. Ich entlasse Euch. Aber 
ies sei auch Eure einzige Strafe in Anbetracht Eurer be— 
onderen Lebensschicksale und Eurer sonstigen guten Führung. 
sch glaube, ich deute Eure Miene recht, Ihr nehmt es als 
5trafe nicht gering. Doch behrt nun heim mit Eurem Weib, 
ersöhnt Euch mit ihrem Dater und beginnt das Leben noch 
inmal von neuem. Auch das erfordert Mut und Kraft; 
nögt Ihr nicht zu schwach dazu seinl Ich weiß beinen 
indern Weg, gleichzeitig Gnade walten zu lassen und niemand 
inrecht zu kun“
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.